2019: Das Gute am Schlechten

 

Die Prinzessin ohne Land - Teil III

 

Vom Lebendigen, das sich immer wieder auf der anderen Seite des Schlechten und Bösen eine Erfüllung sucht.

 

Fortsetzung der Weihnachtsgeschichten:

2010: Die Prinzessin ohne Land - Teil I: „Vom notwendigen Mut zur persönlichen Entwicklung“

2016: Die Prinzessin ohne Land - Teil II: „Von der Grausamkeit des Scheiterns einer persönlichen Entwicklung und von den Unschuldigen, die geschädigt werden“

 

(Downloads auf psea.de)

 

 

Prolog: Vor der bekannten Franziskanerkirche

 

Es war wieder einmal Jahre später. Eine Gestalt, die nun wirklich sehr alt geworden war, quälte sich zur Kirche. Es war tatsächlich der Troubadour, der sich hinkend vor die Kirche schleppte.

 

„Danke, dass Du gewartet hast, alter Mann.“ Der alte Mann, den wir aus den vorhergehenden Geschichten schon kennen, schaute den Troubadour an - fast traurig: „Du batest mich doch zu warten“, sagte der alte Mann.

 

„Ach, wenn du wüsstest“, sagte der Troubadour, „wie viele Versprechen man mir machte und nicht einlöste.“

 

Der alte Mann schaute in die Ferne und nickte kurz. „Ich weiß es.“

 

Der Troubadour quälte sich zum Doppelgrab der Prinzessin ohne Land und die Mechanik des Tagtraumes ging wieder los.

 

Mittlerweile wusste er um die Vielfältigkeit der Welten und wie man sich auf diese einlässt.

 

 

Die Lehmhütte am Rande der Stadt und sein Bewohner

 

[Zur Erinnerung:

 

Aus der Weihnachtsgeschichte 2016:

 

Die Prinzessin und die alte Welt

 

Zu jener Zeit erzählte man sich in der Stadt, dass die Prinzessin wieder zurück gekommen ist. Sie war, wie man sie damals kannte: grausam. Sie hatte einen Sohn dabei, der ihr Erbe sein sollte. Sie ließ die großen Festungsmauern neu aufbauen, setzte grausame Barone ein und sie konnte die altgewordenen Barone der Grausamkeit wieder aufleben lassen. Die Stadt war wieder wie früher. Viele freuten sich. Diejenigen, die nie ihren Schlüssel abgegeben hatten, freuten sich.

 

Man erzählte sich draußen vor den Toren gäbe es eine kleine Lehmhütte in dem ein Mensch und ein komisches Wesen lebte. Alle waren erstaunt, dass die Prinzessin das tolerierte. Manche raunten, dass er etwas mit dem Erbe der Prinzessin zu tun hätte, dem Sohn Jesoph. Niemand wusste, was er denn machte und warum er da war. Üblicherweise ließ die Prinzessin jegliche Ansammlung um die Mauern sofort abreißen. Die Menschen raunten, dass hier irgend ein Zauber war.

 

Eines Abends hörte man diese komische Kreatur mit dem komischen Gnom an seiner Seite laut schreien und weinen. Bis ins Herzen der Stadt hörte man ihn weinen. Nur die Aufmerksamen unter ihnen hatten bemerkt, dass an diesem Tag der Erbe der Prinzessin, Jesoph, zum ersten mal einen Schlüssel um den Hals trug. Das Geheule, das Weinen, das Geschrei dieses Wesens vor der Stadt ging tagelang.]

 

 

 

 

Der Troubadour aus dem Land der Prinzessin ohne Land hatte sich an der Stadtmauer eine Lehmhütte gebaut.

 

Nach wochenlangem Heulen, Weinen und Schreien sah man ihn eines Tages früh morgens mit einem kleinen Wesen auf dem Rücken aus der Hütte schleichen. Es dämmerte gerade.

 

Er hatte Jutesäcke dabei und man sah ihn etwas weiter an der Flussfurt Lehm sammeln. Er schleppte diesen in die Lehmhütte. Man sah ihn mehrmals das Gleiche tun.

 

Dem kleinen Wesen, seinem Gnom, schien es gut zu gehen, jedoch herrschte Stille zwischen den beiden.

 

In der Hütte baute der Troubadour in einer Ecke mit diesem Lehm eine runde Mauer. In dieser Mauer baute er eine schwere Holztür mit einem Schloss ein. Wer den Fluch der grausamen Prinzessin kennt, wusste sofort, was er hier baute.

 

Da wurde der Gnom misstrauisch. „Troubadour, ist das für mich?“, fragte er.

 

Der Troubadour schaute ihn traurig an und sagte: „Gnom, ich kann nicht mehr. Ich muss in die alte Welt. Ich halte es nicht mehr aus.“

 

Der Gnom sagte: „Du verrätst mich. Wir wollten doch zusammen bleiben.“

 

„Ja“, sagte der Troubadour, „ich muss mein Kind, meinen Sohn Jesoph retten. Dafür muss ich böse sein. Dafür muss ich Rache nehmen. Dafür muss ich die Prinzessin vielleicht umbringen.“

 

Der Gnom erschrak und sagte: „Freiwillig gehe ich da nicht hinein.“

 

Da packte ihn der Troubadour mit einer ihm mittlerweile völlig unbekannten Aggression, steckte seinen Gnom in dieses kleine rundliche Zimmer und sperrte es zu. Heulend legte er sich den Schlüssel um den Hals.

 

Der Gnom tobte, schrie und sagte: „Dann bleibt mir jetzt übrig, wieder in die Grausamkeit zu gehen.“ Und schon spürte der Troubadour Schmerzen, Hassgefühle gegenüber der Prinzessin und er murmelte so etwas wie „Danke“ an seinen Gnom gerichtet.

 

Kehren jetzt die alten Zeiten zurück?

 

 

Der Troubadour in der Stadt

 

In der Unterstadt erzählte man sich aus dieser Zeit, dass ein früher bekannter Troubadour sich wieder in Kneipen besoff, zu den Huren ging und Nachts durch die Stadt streifte.

 

Viele freuten sich: Die Welt ist wieder in Ordnung. Und diese Schimäre vom Land der Prinzessin ohne Land war somit definitiv vorbei. Er war wieder da!

 

Er gehörte ja auch zu jenen, die damals an das Märchen glaubten, dass das Land der Prinzessin ohne Land existierte. Sie alle waren sich einig. In dieser grausamen Stadt waren sie alle verflucht. Dieser hässliche Gnom, der bei allen aus dieser Verfluchung geboren war, der ihnen nur weh tat, der ihre Grausamkeit unterhielt, gehörte eingesperrt. Sonst war das Leben in der Grausamkeit unmöglich.

 

Sie trugen alle voller Stolz ihren Schlüssel und fühlten sich so wohl in dieser grausamen Stadt der grausamen Prinzessin.

 

Sie freuten sich, wenn auch Menschen, die sie kannten, öffentlich ausgepeitscht wurden, wenn die alten Barone wieder grausam waren, wenn jeder dem anderen sein Teufel war.

 

Angst hatten alle: Einige Bekannte, ob Saufkumpane oder Baron, ob Bürger oder hohe Beamte, hatte es bereits ja gekostet seit der Rückkehr der Prinzessin. Es konnte jederzeit auch sie selber treffen. Darüber dachte aber niemand nach: Hauptsache das Leben ging grausam weiter.

 

Eine Veränderung konnte man jedoch am Troubadour bei seinen nächtlichen Ausflügen feststellen: Er war still.

 

Die Menschen der Stadt, die ihn erkannten, wandten sich sicherheitshalber von ihm ab. Niemand wollte mit ihm gesehen werden. Niemand wollte von seiner Geschichte mit der Prinzessin aus dem Land der Prinzessin ohne Land hören. Seine Geschichte war verbannt.

 

Eines Nachts streifte der Troubadour mit umgehängtem Schlüssel wieder durch die Stadt. An einer Ecke saß ein alter Mann - der alte Mann.

 

Der Troubadour hörte seine Frage: „Was machst Du hier? Vor allem, was machst Du hier mit diesem Schlüssel?“

 

Der Tonfall des alten Mannes war freundlich, jedoch messerscharf.

 

Der Troubadour drehte sich erstaunt um und erkannte den alten Mann.

 

Er schaute irritiert und sagte:

„Du musst das doch verstehen, alter Mann. Ich muss meinen Sohn Jesoph retten. Ich sehe ihn nicht mehr, er kennt mich nicht mehr. Die Prinzessin hat ihn eingesperrt. Ich weiß gar nicht, was mit ihm ist…

Ich werde die Prinzessin umbringen…

Ich bin möglichst grausam zu meinem Gnom, damit ich die Kraft habe, dieses zu tun.

Jesoph geschieht Böses: Du weißt, alter Mann, dass seit ich die Lehmhütte gebaut habe, an der Stadtmauer, hat Jesoph einen Schlüssel. Man lässt seinen Gnom nicht zu ihm. Er lebt in dieser grausamen Welt!“

 

Der alte Mann schaute traurig zu ihm hoch und sagte: „Und Du, hast Du keinen Schlüssel? Du ziehst ihn sogar freiwillig an. Du willst Deinen Sohn vom Schlüssel befreien und Du ziehst ihn selber freiwillig an, Troubadour, Du, der das Land der Prinzessin ohne Land kennt, darin gelebt hat, dort einen Sohn bekommen hast?“

 

Der Troubadour wurde wütend:

„Mein Schlüssel ist anders. Ich tue dies, um meinen Sohn Jesoph zu retten. Für diesen guten Zweck.“

 

Der alte Mann wiederum: „So, so, zu diesem guten Zweck, …“.

 

„Willst Du mich nicht verstehen?“, fragte der Troubadour verzweifelt. „Ich verlange von Dir, dass Du mich verstehst.“

 

Der alte Mann schaute ihn traurig an und schüttelte nur den Kopf.

 

In der darauffolgenden Zeit sah man den Troubadour wieder gaffen, wenn Andere erhängt oder gefoltert wurden. Er machte mit in dieser grausamen Welt.

 

Jeden Abend bevor die Tore der Stadt schließen, verließ er diese und ging in seine Lehmhütte.

 

Der Gnom polterte: „Lass mich raus, komm, wir machen wie früher!“

 

Der Gnom erinnerte sich genau, wie schön es früher war.

 

Jeden Abend sagte der Troubadour:

„Ich habe das Gefühl, die Prinzessin ohne Land und alle ohne Land haben mich angeschmiert. Schau, die da oben in der Stadt. Sie alle tragen Schlüssel. Vielleicht hatte der alte Mann damals Recht, als er mir sagte „Wir beide, die Prinzessin und ich, wir wollten zu viel. Ich verliere den Glauben.“

 

Der Gnom wurde plötzlich still, er lächelte sanft und schaute seinen Troubadour an.

 

„Erinnerst Du Dich an diesen alten Mann?“ flüsterte der Gnom.

 

Der Troubadour sagte: „Ja“.

 

Der Gnom sagte: „Wie können Erinnerungen Illusionen sein, Troubadour?“

 

Der Troubadour hielt es nicht aus. Er schrie den Gnom an: „Sei still, ich will mich nicht daran erinnern.“

 

Doch der Gnom quälte ihn, wie es in seinem Wesen war. „Troubadour, ich bin da. Du weißt warum. Ich gehöre zu dem Fluch, dass Du Dich erinnerst an Deine Boshaftigkeit. Du weißt, dass es anders geht als Du jetzt tust.“

 

„Aber ich bin doch allein. In den Zeiten im Land der Prinzessin ohne Land war ich nicht allein. Jesoph war bei mir: Er war das Symbol dieser Möglichkeit. Und jetzt: Die Prinzessin ist grausamer als je zuvor. Sie klaut mir meinen Sohn. Sie will nichts mehr von diesem schönen Land wissen. Und ich glaube auch nicht mehr daran, Gnom.“

 

Der Gnom war still, aber der Troubadour spürt, dass er zittert, dass er bald platzen würde vor Wut.

 

Der Troubadour murmelte etwas, was auch der Gnom nicht verstand.

 

 

Der heilsame Fehler vom Troubadour

 

Am anderen Tag verließ der Troubadour früh die Lehmhütte.

 

Er hatte gehört, dass es wiederum eine Auspeitschung auf dem Marktplatz gibt, und dass die Prinzessin daran teilnahm.

 

In einer dunklen Kneipe hatte er einen Dolch erstanden, den er unter seinem Wams trug. Er geiferte mit allen und lachte den Ausgepeitschten aus. Da sah er die Prinzessin mit seinem Sohn Jesoph auf der Empore sitzen.

 

Jesoph sah nicht glücklich aus.

 

Er hatte deutlich sichtbar den Schlüssel an seinem Hals hängen.

 

Die Prinzessin freute sich über das Ausmaß an Grausamkeit. Sie feuerte den Auspeitscher an. Sie brachte Stimmung auf diesen grausamen Platz.

 

Doch Jesoph war still. Er sah bleich aus.

 

Der Troubadour schlich sich an die Prinzessin heran und als die Prinzessin einen Moment vor Begeisterung aufstand, gerade als der Auspeitscher richtig zuschlug, sagte er sich: „jetzt“ und voller Hass und Aggression sprang er auf die Empore, den Dolch hoch in der Hand und wollte zuschlagen.

 

Jesoph schrie jedoch: „Frau Mutter, Achtung!“

 

Der Troubadour war so erstaunt, dass er einen Moment zögerte.

 

Schon hatten ihn die Wächter ergriffen, geknebelt und gefesselt legten sie ihn vor die Prinzessin auf den Boden. Die Prinzessin setzte ihm einen Fuß in den Nacken, so wie die heidnischen Herrscher es immer machten und sie befahl der Menge still zu sein.

 

Die Prinzessin lachte laut und sagte: „Hier liegt schon der Nächste, der Euch erfreuen wird.“ Und sie bat die Richter der Stadt auf die Empore und sagte: „Richter, richtet über ihn.“ Und die Richter ließen ihre Truhe mit der Rechtssprechung der Stadt, die diese grausame Tradition rechtfertigte, zu sich bringen. Sie waren sich einig.

 

„Schuld, Schuld, Schuld“ sprachen sie.

 

Sie sprachen davon, dass der Troubadour ein Lügner ist, dass der Troubadour aggressiv ist, dass der Troubadour die Prinzessin geschändet hätte. Dass, dass, …

 

Sie erfanden immer mehr Themen und zu guter Letzt sagte einer das Schlimmste: Er wollte einem Kind die Mutter wegnehmen.“

 

Der Pöbel raunte und fand selbst in dieser grausamen Welt dies zu grausam.

 

Der Troubadour konnte nicht mehr und schrie verzweifelt:

„Die Mutter hat dem Kind den Vater weggenommen.“ Aber er bekam sofort mit einer Lanze so einen Hieb, dass er ohnmächtig wurde.

 

Ein Eimer Wasser flog ihm ins Gesicht und er merkte, dass er vor dem Richter und der Prinzessin kniete.

 

Alle freuten sich: „Jetzt wird er gehängt.“ Und die ganze Menge schrie: „Hängen, jetzt; hängen, jetzt; hängen, jetzt!“ Und sie freuten sich.

 

Die Prinzessin stand auf und sie sah kurz zu Jesoph rüber. Erstaunlicherweise saß der da und weinte.

 

Die Prinzessin flüsterte: „Mein Sohn ist noch zu jung, um das Urteil zu verkünden.“

 

Jesoph stand auf und ging zurück ins Schloss.

 

Die Prinzessin sammelte sich und deutete dem Erzieher, der unten wartete, dass er sofort Jesoph folgen sollte.

 

Die Prinzessin verkündete:

„Ich möchte das grausamste Urteil: Ich verurteile diesen Taugenichts dazu, dass er am Leben bleibt, dass er weiß, dass sein Sohn existiert, und dass er ihn nicht sehen kann.“

 

Als der Troubadour das hörte, schrie er laut auf: „Tötet mich!“

 

Doch die Prinzessin bleckte die Zähne und sagte kühl: „Nein!“

 

Die Menge wurde still. Obwohl alle Schlüsselträger waren, hatten sie die Tiefe dieses grausamen Urteils nicht erfasst.

 

Der Troubadour sah der Prinzessin in die Augen. Da wusste er, die Prinzessin hatte Erinnerungen an ihren Gnom, an das Land der Prinzessin ohne Land. Er war sich sicher, sie sah ihren Gnom immer noch. Als der Troubadour das verstand, wurde er still.

 

Er fasste an seinen Schlüssel und er spürte seinen Gnom draussen vor den Toren toben.

 

Er bemerkte, dass er seinen Gnom verraten hatte, und dass dies ein großer Fehler war.

 

Die Prinzessin sagte: „Fort mit ihm in seine Lehmhütte. Fortan hat er Stadtverbot.“

 

Die Menge war enttäuscht.

 

 

Die Prinzessin und ihr Kind

 

Die Prinzessin kehrte mit ihrer Gefolgschaft zurück ins Schloss.

 

Jesoph war mittlerweile in dem gleichen Nebenbau, wie sie damals von ihren Eltern mit dem neuen grausamen Erzieher geschickt wurde.

 

Der Gnom war sicher im Turm eingesperrt und der ehemalige Erzieher der Prinzessin war auf Bitten der Prinzessin wieder im Dienst, da er ja die entsprechende Erfahrung hatte.

 

Die Prinzessin sagte: „Holt mir mein Kind.“

 

Jesoph wurde geholt und, wie er das gelernt hat, verbeugte er sich vor seiner Mutter und blieb demutsvoll stehen.

 

„Jesoph“ sagte seine Mutter, „Du weißt, dass Du diesen Gnom niemals rauslassen darfst. Du weißt auch, dass der Sohn einer Prinzessin grausam sein muss. Du hast gestern von Deinem Erzieher die Peitsche bekommen, die ich selbst für mich benutzt habe. Sei jetzt ein guter Sohn, geißle Dich, sei grausam und fange endlich an, ein guter Prinz zu werden.“

 

Die Prinzessin bebte innerlich und alle um sie herum hatten große Angst.

 

Der ganzen Gefolgschaft fiel auf, dass Jesoph sehr still war, dass er noch keine Grausamkeiten an den Tag gelegt hatte, und dass er das jetzt hier ziemlich gut aushielt.

 

Der alte Erzieher war sichtlich nervös, weil die Prinzessin ihm bereits gesagt hatte, dass er endlich erfolgreich sein sollte.

 

Er hatte die alltäglichen Schläge an Jesoph verdoppelt. Er hatte ihm vorgegeben, welche Grausamkeiten er in der Stadt bei seinen Spaziergängen machen sollte.

 

Doch Jesoph machte einfach nur seine Spaziergänge.

 

Aufträge wie: Er solle jemanden verhaften lassen, in den Kerker schmeißen, er soll jemanden auspeitschen lassen, er soll mal einen der Barone anklagen, illoyal zu sein und vor seine Mutter zerren. All diese kindlichen Aufgaben hatte Jesoph einfach nicht getan. Der Erzieher hatte Angst.

 

Jesoph stand ruhig da. Die Peitsche, die er bekommen hat, hatte er auch noch nicht benutzt.

 

Jesoph schaute seiner Mutter in die Augen und fragte sehr ruhig: „Wer war das?“

 

Seine Mutter wurde bleich, zögerte etwas, doch sie fasste sich schnell. „Jesoph, das geht Dich nichts an. Frage noch einmal und ich lasse Dich richtig auspeitschen. Wenn es nötig sein muss, vor allen.“

 

Jesoph nahm dies zur Kenntnis und sagte höflich: „Mutter, ich möchte mich jetzt zurück ziehen.“

 

Voller Wut gab die Prinzessin das Zeichen, dass er gehen kann.

 

Jesoph verneigte sich und ging still in seine Gemächer.

 

Der oberste Richter des Landes neigte sich vor der Prinzessin und sagte: „Wir müssen handeln. Wir klagen diesen Troubadour an. Wir müssen verstecken, dass er der Vater ist. Das ist für Ihre Autorität nicht gut.“

 

Ein nächster Richter sagte: „Prinzessin, wir legen eines Nachts ein neues Pergament in unsere Truhe und erfinden ein neues Gesetz, dass Väter gar keine Rechte mehr haben.“

 

Ein nächster Richter wollte sehr positiv auffallen und sagte: „Prinzessin, wir lassen einfach mal ganz viele Väter aus ihren Familien rausreißen. So bekommen wir das in den Griff.“

 

Und die ganzen hohen Richter ereiferten sich gegenseitig und alle wollten den besten Vorschlag bringen.

 

Die Prinzessin war abwesend.

 

Aufmerksame sahen, dass sie ihren Schlüssel fasste und fest in der Hand hielt.

 

„Raus“, sagte sie ganz leise und dann schrie sie sehr laut: „Raus, alle raus.“

 

Die Richter schauten verstört und gingen voller Angst zuerst. Die ganze Gefolgschaft lief ihnen schnell nach und ließ die Prinzessin alleine.

 

Langsam drehte sich die Prinzessin zu dem runden Treppenhaus, das in ihrem Empfangssaal mit einer schweren Holztür verschlossen war. Sie ging auf dieses zu und sie hörte ihren Gnom toben. Sie stellte sich vor die Tür und fasste ihren Schlüssel fest an. Sie nahm das Band von ihrem Hals und mit einer zitternden Hand steckte sie den Schlüssel in das Schloss. Das Toben wurde deutlich lauter und man hörte dieses Wesen hochkommen. Die Prinzessin hielt die Hand am Schlüssel und sie drehte ihn um ein Viertel.

 

Nachdem ihr ganzer Körper zitterte. Doch dann, so wie geführt von einer unsichtbaren Hand, zog sie den Schlüssel aus dem Schloss, hängte den Schlüssel ganz schnell um sich und blieb mitten im Empfangssaal stehen.

 

Eine Stimme aus dem Nichts sagte plötzlich ruhig: „Wie schade.“

 

Die Prinzessin erschreckte, drehte sich um und sah den bekannten alten Mann am Fenstersims stehen.

 

 

Das Leben in und um die Lehmhütte

 

Nach diesen seltsamen Ereignissen sah man den Troubadour tagelang wie gestört vor den Toren der Stadt umherlaufen, durch das Wäldchen, links vom Haupttor, an der Flussfurt, dort wo er immer Lehm sammelte, über die Felder.

 

Aufmerksame Beobachter konnten sein Herumirren sehen, was für Unsensible eher wie ein Spaziergang aussah.

 

Er irrte umher.

 

Eines Abends kehrte er von einer dieser herumirrenden Wanderungen in seine Lehmhütte zurück. Er erschrak sehr. Die Tür des Lehmkerkers für seinen Gnom stand weit auf und der Gnom war verschwunden. Er fasste schnell an seinen Schlüssel, er war noch da. „Was ist passiert? Was wird mir jetzt passieren? Wo ist mein Gnom? Was will er?“

 

Der Troubadour hatte Angst.

 

Er lief aus dem Lehmhaus und schaute umher. Da entdeckte er, etwas weiter vorne, kurz vor der Flussfurt, an der Mündung des Baches, zwei Gestalten. Er wusste sofort, dass sein Gnom dabei war, da er diesen spürte.

 

Voller Panik lief er hinunter, wollte den Gnom packen, doch der wusste ja, dass er kam und drehte sich seelenruhig um und lächelte ihn an.

 

Der Gnom sagte nur: „Da bist du ja.“

 

Direkt neben dran stand die zweite Gestalt. Es war unheimlich. Es war auch ein Gnom. Kleiner, jünger, aber er sah genau so aus. Der Troubadour spürte, dass von ihm keine Gefahr ausging. Und zum Zeichen, dass auch er keine Gefahr war, nahm er den Schlüssel von seinem Hals und legte ihn vor sich hin.

 

„Guten Tag“, sagte er zum zweiten Gnom.

 

Er bekam sogar ein Lächeln in seiner Angst hin und sein eigener Gnom kam zu ihm und kuschelte sich seit Jahren zum ersten Mal wieder an ihn. Dem Troubadour kamen die Tränen. Er erinnerte sich an das Land der Prinzessin ohne Land. Die schönen Tage, die Tage mit seinem Gnom, mit seinem Sohn, mit der Prinzessin.

 

Der fremde Gnom sagte: „Wir sind verwandt“ und er zeigte auf den anderen Gnom.

 

Der Troubadour verstand sofort und sagte: „Ist er hier?“

 

Der Troubadour hörte hinter sich eine Bewegung. Er flüsterte: „Jesoph!?“

 

Der kleine Gnom hüpfte - fast fröhlich - zu Jesoph hin und zog ihn nach vorne. Jesoph, dem die Angst auch im Gesicht stand, sagte: „Wer bist Du? Ich spüre, von Dir geht keine Gefahr aus. Mein Gnom hat mich hierher gezerrt.“

 

Vater und Sohn sahen sich sehr lange an.

 

Die Gnome zwinkerten sich zu und schmiegten sich jeweils an den Troubadour und an Jesoph.

 

Ihre Hässlichkeit war noch deutlich zu sehen, aber ihr Frieden und ihre Stille waren spürbar für beide Menschen.

 

„Woher kennst Du Deinen Gnom?“ fragte der Troubadour. Du hast doch strengstes Verbot, ihn zu sehen, ihn rauszulassen und Du wirst bestimmt verprügelt. Du musst grausame Dinge tun.“

 

Jesoph schaute ihn nochmals lange an und fragte ihn: „Wer bist Du?“

 

Der Gnom von Jesoph konnte sich nicht mehr zurück halten. „Sag es ihm doch, sag es ihm, Jesoph, sag es ihm, wie Du dies machst.“

 

Jesoph schaute seinen Gnom an, schaute wiederum den Troubadour an und sagte: „Ich erinnere mich manchmal an ein Land, wo ich mit meinem und vielen Gnomen spielte. Es war ein wunderbares Land. Meine Mutter war anders und mein …“.

 

Plötzlich wurde er still und mit großen Augen schaute er den Troubadour an und sagte: „Bist Du mein Papa?“

 

Dem Troubadour rollten die Tränen über die Wangen und er spürte, wie ihn der Gnom festhielt.

 

 

 

Stille.

 

Die Zeit blieb einfach stehen. Nur die Gnome kicherten manchmal.

 

 

 

Der Troubadour setzte mehrmals an etwas zu sagen.

 

„Wie kommst Du aus der Stadt hierher?“, fragte er. „Deine Mutter lässt das doch nicht zu. Sie hat mich doch verklagt. Ich darf Dich doch nicht sehen. Und sie hat grausame Freude daran.“

 

Jesoph sagte: „Sie weiß, dass ich hier bin. Und ich habe es ihr nicht gesagt.“

„Mein Gnom weiß Wege hierher zu kommen. Er hat mich geleitet.“

 

Der Troubadour antwortete mit Stille.

 

Plötzlich ertönte von Weitem eine Posaune von einem der Stadttürme.

 

Jesoph sagte: „Das ist das Zeichen meiner Mutter, Papa. Sie lässt mich gehen, wenn ich beim Zeichen wieder in die Stadt gehe. Ich gehe dann jetzt. Ich komme wieder…, Papa“

 

Jesoph und sein Gnom verschwanden.

 

Man sah den Troubadour und sein Gnom noch lange Zeit sitzend in der Stille.

 

 

Das Land der Prinzessin ohne Land und ohne Prinzessin: Das, was man sich erzählte

 

Von diesem Zeitpunkt an sah man den Troubadour mit drei weiteren Gestalten ganz häufig nicht mehr umherirren, sondern wandern, spielen, Bäche stauen, Baumhütten bauen, Fußball spielen und manchmal gesellten sich sogar Andere mit ihren Gnomen dazu.

 

Ganz langsam sprachen die Leute vom „Land der Prinzessin ohne Land und ohne Prinzessin“.

 

Man erzählte sich, dass der Troubadour getrockneten Lehm aus der Lehmhütte trug und eine schwere Holztür als Lagerfeuer verbrannte. Der Schlüssel war verschwunden und fortan sah man den Troubadour nicht mehr in der Stadt.

 

Der Troubadour wäre mit seinem Gnom nicht in die Stadt hineingekommen. Und ohne ihn wollte er nicht mehr.

 

Man erzählte sich, dass auch kurz darauf ein alter Mann - unser alter Mann - in einem großen Jutesack etwas überreichte.

 

Seit diesen Tagen saßen der Troubadour und sein Gnom häufig vor der Lehmhütte. Der Troubadour spielte Laute.

 

Die Töne durchdrangen die Stadtmauern und man spürte diese bis zum Marktplatz.

 

 

Vor der Franziskanerkirche

 

Der Troubadour erwachte vor dem Doppelgrab der Prinzessin ohne Land. Er lag auf dem Kirchenboden. Innerlich war er völlig aufgewühlt. Er schleppte sich hoch und hinkte aus der Kirche und setzte sich auf die Bank.

 

„Kann ich jetzt endlich gehen?“, fragte der alte Mann, der auch auf der Bank saß.

 

Der Troubadour war lange still. „Warum fragst Du?, flüsterte er, „Du weißt es schon.“

 

„Troubadour, es ist Deine Entscheidung. Es ist Dein Leben.“

 

Der Troubadour sagte: „Ja, ich weiß, wo ich jetzt hingehöre“ und er musste lachen. „Es ist ein komisches Land, weißt Du, alter Mann. Es ist das Land der Prinzessin ohne Land und jetzt auch ohne Prinzessin.“

„Das klingt doch ein bißchen leer? Oder?“, lächelte der Troubadour.

 

Der alte Mann musste ebenfalls lächeln. Er sagte: „Ja, leer und einsam.“

 

„Alter Mann, wollte ich damals zu viel?“, fragte der Troubadour in seiner großen Unsicherheit.

 

Und der alte Mann stöhnte tief und sagte: „Du hast recht, Du brauchst mich noch. Ich bleibe.“

 

Der Troubadour hinkte davon. Doch man sah deutlich: Er hatte auf seinem rechten Arm ein altes, sehr häßliches Wesen, das er mitschleppte.

 

Der alte Mann schaute ihm lange nach und fing an zu beten.

 

 

 

 

Für A.

 

 

Weihnachten 2019

 

 

 

 

jd

 

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