2011: Von der Sehnsucht …und der Suche nach Gott oder auch: Der große Irrtum.

Oxford in England

Die kleine, mittelalterliche Stadt lag, wie fast immer, unter leichtem Nebel. Die Universität, die dieses Städtchen berühmt gemacht hatte mit ihren einzelnen Colleges hatte schon seit drei Wochen wieder den Lehrbetrieb aufgenommen.

Ende der siebziger Jahre, die Abschlussfeier.

Die ganzen Jahrgänge feierten ihren universitären Abschluss.

Da die Universität in Oxford eine sehr kleine war, feierten alle zusammen.

Die Stimmung war, wie immer an diesen Abschlussfeiern: Vorsichtig gelassen, da die britische Lebensart trotz vieler, ausländischer Studenten hier Pflicht war.

Der Rektor hatte gerade die Abschlusswörter gesprochen und nun standen alle auf dem berühmten Rasen zusammen. Lehrer, Studenten, die stolzen Eltern, von denen zumindest der weibliche Teil noch rötliche Augen hatte, während der männliche Teil durch stolz geschwellte Brust die Tränen unterdrückte. Eben: Britische Verpflichtung.

Auf einem der Hügel, nahe dem Theologischen College, standen drei etwas abseits.

Es war schon manchen Studentinnen und Studenten aufgefallen, jedoch nicht so wichtig, da sich diese drei schon während des gesamten Studiums immer etwas isoliert hatten. Raschni aus Indien, George F. aus Washington D.C. und Paol ein Franzose – nicht wie man erwarten würde aus Paris – sondern aus diesen schlichten, nördlichen Landstrichen Frankreichs, die eigentlich immer Englisch waren, der Normandie. Paol hatte sich immer sehr wohl gefühlt in Oxford, da er sich nicht auf ein anderes Klima einstellen musste, wenn er mal nach Hause fuhr. George F. studiert Wirtschaft, Raschni Business Informatik und Paol - ja Paul - studierte tatsächlich Theologie.

Während andere Studentinnen und Studenten sich amüsierten, sah man die drei während des ganzen Studiums lange Spaziergänge in den parkähnlichen Wäldern, die Oxford umgaben, machen.

Was diese drei bei diesen langen Spaziergängen machten, wusste niemand so recht und eigentlich interessierte sich auch niemand dafür.

In ihren Studiengängen waren sie selber gute Freunde und Kollegen. Nur diese ausgedehnten Spaziergänge machte sie dann irgendwie anders.

Geroge F. hatte gerade einen brillanten Abschluss hingelegt und oben auf dem Hügel hatte er seine Urkunde in der Hand.

Raschni hatte sie unter ihren Arm geklemmt. Sie konnte ebenfalls, mit diesem brillanten Ergebnis, in ihrer Heimat eine große Karriere machen.

Paol hatte zwar auch den Abschluss geschafft, er war jedoch eher dann vorne, wenn hinten vorne war.

Er hatte seine Urkunde schon in seine Tasche gelegt als er auf seinem Zimmer war. Ihm war dies eh alles nicht so wichtig. Jetzt standen diese drei auf dem Hügel und schauten sich etwas betröbbelt an. Was wird nun aus unserer Suche fragte George F. Raschni schaute Paol an, der schaute fragend zurück. Auf diesen ausgedehnten Spaziergängen hatten sich alle drei in den letzten Jahre immer nur über ein Thema unterhalten: Sie wollten eine Möglichkeit herausfinden, Gott zu sehen, Gott zu begegnen.

Sie hatten stundenlang zuerst theologisiert, dann philosophiert, dann hatten sie in der Bibliothek von Oxford, die bis ins frühe Mittelalter zurück ging, studiert. Hatten über diese und jene Methode Gott zu zwingen sich zu zeigen diskutiert und waren bisher jedoch nicht auf einen grünen Nenner gekommen.

Was machen wir nun fragte George F. noch einmal. Was wird nun aus unserer Suche nach Gott.

Es blieb wohl eine Frage ohne Antwort, denn man sah sie drei Tage später, jeweils einzeln, Oxford verlassen und alle drei gingen zurück in ihre Heimat. Sie verloren sich aus den Augen.

15 Jahre später.

Er winkte dem Postboten nach, der in seinem klapprigen R 4 (für die jüngeren unter uns ein Kult-Auto aus den siebziger Jahren), den Berg hinunter fuhr und eine Staubwolke hinter sich her zog.

Paol. 15 Jahre später. Unrasiert, auf einer Hochwiese in der Cröüsä in einem alten Hof. Er sah sehr viel älter aus 15 Jahre später. Er schaute sich die Post an.

Hier kam der Briefträger einmal in der Woche, so dass es jedes Mal ein Stück Kontakt zur Außenwelt war. Er ging gemütlich ins Haus, wo seine Frau auf ihn wartete. Genau genommen war es nicht seine Frau, sondern seine Freundin, aber dies klang so jung. Sie hatten sich vor drei Jahren zusammen getan, um hier oben in Ruhe zu leben und um das zu tun, was man hier tun kann: Eine Schafherde beaufsichtigen.

Natürlich gehörte ihnen die Schaftherde nicht. Er wollte sich gerade mit der Post hinsetzen, doch er blieb stehen und stierte auf einen Briefumschlag. Was ist, fragte seine Frau und er blickte sie an und sagte: Post, aus einer ganz anderen Vergangenheit. Seine Frau schaute ihn kritisch an, da sie eigentlich von seiner Vergangenheit nichts wusste und auch nichts wissen wollte. Sie hatten sich zusammen getan und hatten beide jeweils auf der ihrigen Seite vieles erlebt, was vielleicht besser unerwähnt blieb.

Er setzte sich, legte die andere Post weg und hielt den Briefumschlag mit beiden Händen. Seine Frau sah einen Poststempel aus Oxford, was ihr aber nichts sagte.

Paol hielt ihn einige Zeit in der Hand und legte ihn dann weg. Das Leben war hier ohne viele Worte und das war auch gut so.

Es wurde Abend und ganz entgegen seinen Gepflogenheiten sagte Paol: Geh du schon mal ins Bett, ich komme gleich nach.

Seine Frau zögerte, ging jedoch dann hoch.

Paol setzte sich an den Küchentisch und nahm den Brief aus Oxford in die Hand. Er atmete schwer durch. Oxford. Ja, er hatte tatsächlich diesen Abschluss in Theologie. Wie lange das alles her ist. Er hatte viele Stationen durchlaufen. Nach der Abreise damals war er tatsächlich Benediktiner-Mönch geworden und suchte weiterhin Gott. Er durchlief mehrere Klöster, wurde sogar kurz Abt und war zuletzt in der stillen Gemeinschaft von Mont-Saint-Michel. Er wusste, hier ist Gott ganz nah und wenn man ihn doch vielleicht irgendwo findet, dann hier. Doch auch dies hat nicht geklappt und Paol trat aus, heiratete und ließ sich dieses Mal in Paris nieder. Nach zwei Jahren und zwei Kindern war die Ehe gescheitert und so war er über mehrere Etappen, die wir hier unerwähnt lassen, da die Erinnerung Paol zu weh getan hätte, hier in der Cröüsä gelandet. Diese wunderbare Frau, die nichts sagte und nichts fragte, war mit ihm hier eingezogen. Er dachte an dies alles und er dachte an Georges Frage: Was wird nun aus unserer Suche nacht Gott. Diese Frage hatte ihm seither nicht mehr losgelassen und alles was er so tat drehte sich um diese Frage. Auch hier oben in der Cröüsä suchte er weiter, nur anders als bisher.

Was mache ich jetzt mit Oxford. Er dachte an George F. und Raschni und dachte, die haben bestimmt alle Karriere gemacht und ich, was habe ich gemacht, nach Gott gesucht und bin auf diesem gottverdammten Berg gelandet. Er schämte sich und war traurig. Er zerknüllte den ungeöffneten Briefumschlag, wollte ihn gerade in den Papierkorb schmeißen, doch etwas ließ ihn zögern.

Kurzerhand entknüllte er den Brief, machte den Briefumschlag auf und es war eine Einladung zur 15-jährigen Jubiläumsfeier seines ganzen Jahrgangs.

Und dann dachte er den Gedanken, von dem er wusste, er hätte ihn nicht denken sollen: Vielleicht haben die ihn gefunden. Er hätte sich verfluchen können, weil er wusste, jetzt wird sich schon wieder alles ändern. Er hatte so viele Abschiede und Abbrüche hinter sich, aber er wusste, es wird noch einer dazu kommen.

Seine Frau stand morgens auf und sie wusste, was passiert war.

Im Bad fand sie die Bestätigung: Seine Zahnbürste war weg, sein Rasierer, offensichtlich zum ersten Mal seit langen Jahren, benutzt. Ihre Einsamkeit kroch wieder in ihr hoch und es wurde kalt in ihrem Herzen.

Sie ging in die Küche hinunter und fand auf dem Oxford-Umschlag seine Wörter: Warte nicht auf mich, es tut mir leid.

 

Oxford

 

15-jährige Jubiläumsfeier.

Es waren fast alle gekommen. Paol, George F. und Raschni standen mit anderen ihres Jahrgangs rum. Sie hatten sich alle, auch diese drei, gegenseitig höflich begrüßt und sich natürlich ausgetauscht über die letzten 15 Jahre: Nach der 25. Erfolgsstory konnte Paol schon fast nicht mehr zuhören. Wenigstens das ständige Abnehm-Programm der Frauen, die die Mädchen damals begonnen hatten, war gescheitert. Diese waren eindeutig dicker geworden, obwohl natürlich alle als Mutter und im Beruf erfolgreich. Mindestens dieses Scheitern teile ich mit den Damen dachte Paol und fand dann den Gedanken doch ein wenig feindselig. Er hatte irgendwie von George F. und Raschni mitbekommen, wie sie nur sehr kurz über die 15 Jahre redeten. Allerdings so wie erwartet:

George F. war Universitäts-Professor in Chicago und wurde schon zweimal für den Nobel-Preis vorgeschlagen. Frau, fünf Kinder, gefragter Vortragender. Experte in vielen Banken-Gremien etc. etc.

Raschni: Inhaber einer großen Software-Entwicklungs-Firma in Indien, dessen Kunde sich eher so wie ein Börsenbericht las.

Aber wie gesagt, sie redeten auch nur kurz darüber, im Gegensatz zu allen anderen.

Man hatte für diese Gelegenheit auch den ehemaligen Rektor aus dem Altersheim angekarrt. Der fing gerade in seinem Rollstuhl über diesen hervorragenden Jahrgang an zu reden, da trafen sich in diesem Moment jedoch die sehr gelangweilten Blicke unserer drei Gottes-Sucher.

Raschni gab den Ausschlag und zeigte mit dem Kinn auf den Hügel, wo sie vor 15 Jahren versuchten Abschied zu nehmen. In den Augen der drei gab es eine nicht zu bändigende Neugierde. Sie isolierten sich sich wie immer auf dem Hügel, doch dies fiel niemandem auf, da dies ja nur eine alte Gewohnheit war.

Raschni eröffnete den Reigen: Habt ihr ihn gefunden. George F. zuckte ein bisschen mit dem Mund und musste zugeben, nein. Da ihn Raschni offensichtlich auch nicht gefunden hatte, lag es nun an Paol. In seinen Augen war ein starker Wille zu sehen und er hörte sich selber sagen: "Nein, aber ich will ihn suchen und ich brauche Euch um ihn zu finden." Sie schauten sich alle drei tief in die Augen und jeder wusste, ihr Leben wird sich nun ändern. Man sah sie kurz darauf durch die Menge der Jubilierenden in Richtung Bibliothek durchdrängen.

Keiner von den Jubilierenden sah sie am Abend wieder, noch am gemeinsam geplanten Frühstück. Es war ihnen auch nicht wirklich wichtig, da die drei Käuze schon immer eine Ausnahme waren.

Am anderen Morgen fand allerdings der alte Bibliothekar einen dickeren Briefumschlag in seinem Briefkasten. Er wohnte, wie damals, direkt neben der Bibliothek und offensichtlich hatte ihm der Aufenthalt in der Bibliothek gut getan (im Gegensatz zum Rektor im Rektorat). Er war mit seinen Büchern alt geworden und wie Pergament hatte er sich sehr gut gehalten. Er war immer noch im Dienst und war noch der Bibliothekar von Oxford. Er ging mit dem Umschlag in die Bibliothek in seinen Büroraum, der so aussah, wie man sich ein Bibliotheksraum in Oxford vorstellt. Sehr hoch, gotische Fenster, überall an den Wänden Bücher und in der Mitte eine große, altehrwürdige Arbeitsplatte, auf der man auch Karten und alte Verträge ausbreiten konnte. Er legte den Briefumschlag hin und holte sich erst einmal einen Tee.

Er mochte unkatalogisierte Briefumschläge eigentlich nicht. Es machte ihn durcheinander. Er entschloss sich, ihn zu öffnen und fand in diesem Briefumschlag ein großes Packpapier oder noch besser, drei große Stück Packpapier und einen Brief. Er lächelte und sagte, gut, dass die Arbeitsplatte so groß ist und breitete die drei großen Packpapiere aus. Auf dem ersten war eine Zeichnung, die irgendwie an Nord- und Südamerika erinnerte und diese war mit manchen Kreuzen gekennzeichnet. In Alaska war eins, in Mexiko zwei, drei Kreuze, in alten nordamerikanischen Jade-Gebieten, in Südamerika, im alten Inka-Gebiet, im Amazonas einige. Mmh dachte der alte Bibliothekar und schaute sich die beiden weiteren an. Auf dem zweiten Packpapier konnte man mit viel Phantasie Asien erkennen und unten rechts Australien. Auch hier gab es Kreuze in der Taiga, in Tibet eine ganze Menge, in Indien, ein paar in Japan und in Australien. Mmh dachte der Bibliothekar und er konnte erahnen, was er auf dem dritten Packpapier sah. Kaum zu erkennen, oder eher zu erraten war Europa und Afrika und wieder mit vielen Kreuzen. Ein wenig neugierig wurde der Bibliothekar jetzt doch und las den Brief.

„Sehr geehrter Herr Bibliothekar, Sie erinnern sich vielleicht an uns.

Wir sind diejenigen, die auch vor 15 Jahren immer ihre Bibliothek belagerten und vor allem alte, mittelalterliche Dokumente von Ihnen gefordert haben.

Wir lassen Ihnen unsere drei Karten und diesen Brief zukommen, weil wir bei Ihnen wissen, es kommt nichts abhanden. Schon während des Studiums waren wir auf der Suche nach Gott und wollten ihn damals schon irgendwie zwingen, sich uns zu zeigen. Nach 15 Jahren, in denen wir uns aus den Augen verloren hatten, konnten wir nicht loslassen von dieser Suche. Wir haben uns gestern Abend zusammen getan mit folgenden Fragen: Wir werden alle heiligen Orte dieser Welt, jegliche Regionen, aufsuchen und versuchen, dort Gott zu sehen. George F. wird Amerika und Südamerika aufsuchen. Raschni Asien und Australien und Paol Europa und Afrika.

Wir werden uns ab jetzt einmal im Jahr treffen an einem dieser heiligen Orte um unser Wissen zusammen zu bringen. Wir werden jetzt nicht mehr aufgeben. Wir denken, dass am Ende des Jahres eine gute Zeit dafür ist. Es kann ja nicht falsch sein, Gott vor Weihnachten zu suchen."

Der Bibliothekar musste unwillkürlich lächeln, doch er wurde darauf hin wieder sehr ernst, weil er kannte hunderte von Dokumenten in seiner Bibliothek, in denen Leute so etwas ähnliches versucht haben. Entweder waren sie gescheitert, oder je nach Epoche auch schlicht verbrannt worden als Ketzer. Er las weiter.

"Da wir wissen, dass bei Ihnen nichts verloren geht, werden wir Ihnen, sobald wir ein Ergebnis haben, schreiben, so dass andere auch Gott finden können bzw. Sie.

Falls es sehr lange dauern würde, so bitten wir Sie Ihren Nachfolger einzuweihen und auf unseren Brief zu warten. Wir werden ihn zwingen uns zu sehen und sich uns zu zeigen."

Jetzt wird dem Bibliothekar doch bange, weil Gott zwingen war blasphemisch und führt auch heute noch manchmal, in verschiedenen Ländern, zum Tode.

Unterschrieben war der Brief mit: Vielen Dank und alles Gute für Sie George F. Raschni, Paol.

Er erinnerte sich an sie. Das waren die drei, die immer spazieren gingen. Er zögerte sehr lange, ob er diese Dokumente in das Bibliotheks-Verzeichnis aufnahm und er gab diesen inneren Kampf kurz vor Feierabend auf, weil er merkte, er schafft es sowieso nicht alles weg zu schmeißen, also archivierte er es. Er hatte aber dabei ein schlechtes Gewissen, weil so ein Dokument war sicherlich die letzten 400 Jahre in Oxford nicht mehr aufgenommen worden.

Le Mont St. Odile im Elsass

Paol saß in dem über 1000 Jahre alten Kloster, das jetzt aber gar kein Kloster mehr war, sondern eine Pilgerstätte mit einem modernen Hotel. Die heilige Odilia war hier begraben. Die Legende sagt, dass sie blind geboren war und an der Quelle, die ca. 2000 Meter unter dem Kloster lag, ihre Sehkraft wieder gefunden hat. Bei seinen Gedanken zuckte Paol bei dem Wort Sehkraft. 15 Jahre lang haben sie jetzt zu dritt Gott gesucht um ihn zu sehen und jetzt saß er hier, heute Abend, in diesem Kloster, an der alten, kalten Mauer, wo niemand weiß, wozu sie diente.

Es war einer dieser heiligen Orte, die sie in den letzten Jahren auf diesen verschiedenen Kontinenten, die sie vor 15 Jahren aufgeteilt hatten, besucht hatten. In drei Tagen war es wieder soweit, dann kamen George F. und Raschni, dieses mal ins Odilien-Kloster. Letztes Jahr waren sie in Australien und das Jahr vorher haben sie sich in den Rocky Mountains getroffen, auf einem der heiligen Orte der Irokesen.

George F., Raschni und er selber waren mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes mit allen Wassern gewaschen. Voodoo, katholische Selbstkasteiung, alte Inka-Rituale,  tibetanische, buddhistische Meditation. Auch die ganze europäische Quacksalber-Esoterik. Sie hatten so viel versucht und Paol hatte manchmal das Gefühl, dass einer von ihnen kurz davor war. Ein bisschen zweifelte er, ob ihnen das alles gut getan hatte. Er dachte an seine Frau, die er in der Cröüsä zurück gelassen hat, na ja, eigentlich verlassen hat. Wartete sie noch?

Er hatte wenigstens kein Vermögen verloren, weil er keines hatte. Geroge F. war es anders gegangen. Nachdem man ihn in der langen Zeit in seiner Universität nicht mehr sah, hat man ihm dann doch seinen Lehrstuhl weggenommen und mit dem Lehrstuhl ging auch die Frau. Er hatte alles verloren, war jedoch leidenschaftlich besessen von dieser Idee Gott zu sehen. Raschni hatte es besser. Er hatte sein Unternehmen verkauft. Auch er hatte seine Kontinente durchforstet. Sie hatten sich jeweils einmal im Jahr ausgetauscht. Sie waren sicher, sie waren ganz nah dran dieses Jahr. Odilia hatte ihre Sehkraft wieder gefunden.

Unten im Tal gab es eine kleine Kapelle, nach der Legende, wo die heilige Odilia die Kranken jeden Tag besuchte in der Lebroserie.

Doch Poal wusste mehr. Er hatte nach langen Recherchen in vielen Bibliotheken unter dem Altarstein in dieser Kirche die Kassette von der heiligen Odilia gefunden: Er wusste, dort war der Ort, wo sie ihre Seh-Kraft wieder gefunden hat, nämlich Gott gesehen hat. Er hatte die Technik studiert und er wusste, dass er hier in die Kloster-Kapelle gehen musste. Morgen früh wird es soweit sein. Er hatte sich sehr gut vorbereitet und er war sicher, dieses mal wird es soweit sein. In drei Tagen freute er sich schon auf die anderen. Jetzt war er mal der Erfolgreiche.

Am anderen Morgen zog er seine beste Kleidung an - so viel war er noch katholisch, dass man vor Gott in der besten Kleidung auftreten sollte - und er marschierte vor die Kapelle. Hinten rechts sah er die alten Kelten-Gräber. In der Kapelle wusste er, dass der Sarg der Heiligen Odilia lag und er fing an, die Formeln, die er in der Kassette gefunden hatte, anzubeten, zunehmend dabei leicht schwindlig und er ging dann in die Kapelle, öffnete die Tür und er wusste, dort beteten seit dem 1. Weltkrieg Tag und Nacht immer wieder kleine Gruppen von Elsässern, die sich abwechselten. Er drückte die Tür auf, immer noch in seinen Formeln, die er gefunden hatte vertieft, merkte jedoch, dass niemand in der Kapelle war. Er weiß noch, er dachte komisch. Knapp war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, hörte er wie sich von allen vier Türen die Schlösser versperrten. Er bekam Angst. Er hatte sich diesen Moment so lange gewünscht, doch jetzt bekam er Angst. In Panik drehte er sich um, griff an die Klinke der Tür, doch er wusste, er würde sie nicht aufbekommen und so war es auch. Die Tür war zugesperrt. Er rüttelte an ihr, er schlug auf sie ein, doch alles vergebens. Er atmete tief ein und sagte sich laut: "Du wolltest es so, es hilft Dir nichts." Er drehte sich um und plötzlich befand er sich in einer riesigen, katholischen Kathedrale, die völlig leer geräumt war und ganz hinten im Chor stand eine Gruppe von Menschen in einem Halbkreis, die ihn offensichtlich alle anschauten. Er erschrak leicht, als er eine Stimme hörte die sagte: "Komm Paol, komm mein Paul".

Er kannte diese Stimme. Es war die seiner Mutter, nur dass sie es nicht sein konnte, da sie schon seit Jahren tod war. In seiner Hilflosigkeit ging er auf die Gruppe dieser Menschen zu. Je näher er kam, entdeckte er, waren da alle Menschen versammelt, die in seinem Leben eine Rolle spielten. Seine Eltern, seine Großeltern mütterlicherseits, die er noch kannte, gute Freunde aus der Grundschule, seine erste Liebe, ein paar Studentinnen aus Oxford, mit denen er gerne eine Affäre gehabt hätte, der Bibliothekar, seine geschiedene Frau und seine zwei Kinder. Wie in Panik suchte er George F. und Raschni. Sind sie auch hier? Doch nein, alle waren da, nur die beiden nicht. Sein Vater sagte zu ihm: "Wir sind hier, um Dich zu Gott zu geleiten." Bei Paol brach jetzt der kalte Schweiß aus. Er erinnerte sich an die vielen Berichte vom Ende des Lebens von vielen Menschen, bei denen ihr gelebtes Leben wie ein Film noch einmal ablief, in dem sie alle wichtigen Menschen noch einmal sahen, ehe sie dann endgültig starben. In seiner Hilflosigkeit rannte er auf die zweite Tür zu und merkte jedoch, dass er in dieser großen, gotischen, Kathedrale sitzt. Wie verzweifelt rannte er zurück in das Hauptschiff, suchte verzweifelt nach Türen. Die Kathedrale hatte keine Tür. Er schrie: "Ich will raus!", doch alle blieben da stehen und machten nichts für ihn. Jetzt war er überzeugt, er wird heute nicht Gott sehen, sondern er wird heute sterben. Er schaute diese Menschen alle an und sagte: "Also gut, wenn Ihr mich eben zum Sterben begleiten wollt, dann bitte tut, was Ihr nicht lassen könnt" und er merkte, dass er sehr feindselig war. "Aber nein, Paul" sagte eine der Studentinnen die wirklich gut aussah. "Paol er wartet auf Dich in der Sakristei. Du hast Dir so Mühe gegeben, hast so viel Weisheit, so viel Wissen und so viel Risiko auf Dich genommen, Gott zu sehen. Er ist heute bereit, dass Du ihn siehst." Paol war verzweifelt, "Gott in der Sakristei sehen", so ein Quatsch. Er hörte sich schreien: "Ihr lügt, Ihr lügt!" Er hörte eine strenge Stimme: "Paol beleidige mich nicht. Du weißt, dass ich nicht lüge." Es war die seiner Mutter und er konnte sich tatsächlich nicht erinnern, dass seine Mutter je gelogen hatte. Er schaute seine Mutter an und sagte: "Musst Du mir das antun vor dem Sterben ein erstes Mal zu lügen." "Schäm Dich, mir so etwas zu sagen", hörte er seine Mutter sagen und wie von Sinnen benahm er sich wie ein kleiner Bube. Er senkte den Kopf und schämte sich tatsächlich leicht.

Als er den Kopf wieder hob, waren alle verschwunden und er sah auf der Seite die Sakristei-Tür. Er atmete tief durch und verfluchte sich selbst, dass er sein ganzes Leben geopfert hatte, nur um Gott zu sehen und damit eigentlich das ganze Leben verpasst hatte. Als guter Katholik nahm er das Schicksal auf sich und ging auf die Sakristei zu.

Er hoffte, als er die altehrwürdige Klinke herunter drückte, dass sie nicht aufging. Doch sie ging auf. Er drückte die Tür einen Spalt auf, schlug sie voller Panik sofort wieder zu. Sein Atem war sehr flach, er behielt jedoch die Hand an der Klinke. Er hatte nichts gesehen. Es half nichts, er musste da rein. Gesagt, getan. Er ging in die Sakristei, die dunkel war. Knapp hatte er die Tür hinter sich geschlossen, so erhellte sich die Kapelle wie von Gottes Hand langsam. Und tatsächlich, hinten am Schrank stand jemand. Er kniff die Augen zusammen um besser zu sehen, doch es war noch nicht hell genug. Er nestelte nervös noch einmal an der Krawatte herum, denn er wollte ordentlich vor Gott aussehen.

Es wurde heller und Gott drehte sich um. Paol setzte sein bestes Lächeln auf, denn er wusste, er würde jetzt Gott sehen, er wird nicht sterben. Er war jetzt voller Vorfreude und ganz ohne Angst. Gott drehte sich um und jetzt sah Paol ihn. Anstatt sein schönstes Lächeln zu zeigen, fiel ihm die Kinnlade runter. Er konnte es nicht glauben. Er sah … sich.

 

Zwei Tage später.

Man erzählte ihm im Hotel, dass er gestern Abend an der Kelten-Mauer schwer unterkühlt - es war ja kurz vor Weihnachten - gefunden wurde. Man hatte das Hotelzimmer kurzerhand als eine Art improvisiertes Krankenbett umgebaut und ein Arzt sagte ihm: "Sie sind wohl auf. Wie ist Ihnen denn das passiert?" Paol schaute ihn an und sagte: "Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß es nicht." Er fühlte sich tatsächlich sehr wohl und er schickte kurzerhand alle aus dem Zimmer. Diese waren etwas erbost über den undankbaren Menschen.

Kaum war er allein, da klopfte es schon wieder an seine Zimmertür und die Rezeptionsdame kam herein. Paol wollte sie schon hinausschmeißen, doch sie meinte, ihre beiden Freunde haben nacheinander angerufen, dass sie einen Tag später kommen. Paol faltete die Stirn zu einer nachdenklichen Mine. "Darf ich Sie noch etwas fragen", sagte sie. Pool sagte: "Ja bitte". "Kommen ihre Freunde gemeinsam? Warum rufen sie dann zweimal an?" "Nein, nein", lächelte Paol, "die kommen aus ganz anderen Kontinenten". "Ach so", gab die Dame vor verstanden zu haben, und jetzt ging sie auch freiwillig und zog die Tür zu. Poal war erst einmal sehr erleichtert. Einen Tag mehr hatte er um zu überlegen, was er den anderen beiden erzählte. Denn das, was er wusste, konnte er unmöglich erzählen. 15 Jahre Arbeit und dieses Ergebnis, das geht nicht. Er war sehr hilflos. Er wird sich durchmogeln müssen. An dem besagten Tag reisten George F. und Raschni an. Er begrüßte sie und es war hinten im Billard-Zimmer ein Tisch für sie reserviert. Poal sah mit Genugtuung, dass auch andere Leute da waren. Er fühlte sich dann besser beschützt. Die Stimmung war anders. George F. und Raschni waren sehr viel stiller als sonst. Paol als Gastgeber stellte dann die traditionelle Frage: "Habt Ihr ihn jetzt gefunden?" Dieses Frage hatte sich in den letzten Jahren traditionell als gute Frage entwickelt und eröffnete diese Abende. Eine etwas peinliche Stille entstand. George F. und Raschni antworteten nicht sofort. Komisch dachte Paol, sie hatten doch all die Jahre, wie ich auch, sofort los gesprudelt. Diese peinliche Stille wurde plötzlich unterbrochen durch eine kleine Mädchenstimme. "Hallo", sagte das Mädchen, "was trinkt Ihr denn?" Alle nahmen die Frage dankbar auf, sichtlich erleichtert, sich auf etwas anderes konzentrieren zu können. George F. und Raschni trauten ihren Augen kaum, als Paol ein Bier und drei Korn bestellte, er, der eigentlich immer nur Rotweintrinker war. Es war Paol so heraus gerutscht und er biss sich jetzt auf die Lippen und hoffte, dass niemand etwas merkte. Völlig baff war er dann, als die beiden sagten, dasselbe. Der Wassertrinker Raschni und der Diät-Coke-Trinker George F. Das Mädchen hüpfte fröhlich davon und Paol war gezwungen die Auftaktsfrage nochmals zu stellen. "Und, habt Ihr ihn gefunden?" Wiederum schlich die peinliche Stille ein und Raschni sagte. "Ach Paol fang Du doch an, auch wenn es unsere Tradition etwas bricht." George F. konnte dem nicht schnell genug zustimmen. Paol wollte gerade sagen, dass Traditionen zu erhalten sind, auch in diesem Kreise, da kam das kleine Mädchen mit den Getränken wieder. Während es die Getränke auf den Tisch stellte fragte das Mädchen: "Und Ihr, was macht Ihr denn hier?" Paol fiel ein Stein vom Herzen. Er hörte sich und auch seine beiden Kollegen sagen: "Wir suchen seit 15 Jahre Gott und wir wollen ihn sehen." Das Mädchen musste längst kichern und sagte: "Was, Ihr wisst nicht wie er aussieht?" Paol bemerkte die peinliche Stille, die entstand, doch er hörte dann das Mädchen sagen: "Ich weiß wie er aussieht." Alle schauten wie gebannt auf das kleine Mädchen und das Mädchen sagte: "Wie ich." George F., Raschni und Paol zuckten zusammen und das Mädchen blieb stehen und schaute ihnen in die Augen und sagte: "Ja ich weiß, dass Ihr ihn gesucht habt. Aber ehrlich: es hat sehr lange gedauert."

 

2 Monate später in Oxford

Der junge Bibliothekar, der gerade damit fertig war sein neues Zuhause einzurichten, das gerade neben der Bibliothek lag, fand in seinem Briefkasten drei Briefe. Er hatte vor ein paar Wochen den alten Bibliothekar, der in seiner Bibliothek gestorben war, beerbt. Er nahm die Briefe und ging in sein Büro in der Bibliothek, von dem die Leser der Geschichte wissen, wie es aussieht. Er legte die Briefe hin und fing mit der Arbeit an. Am Abend bemerkte er, dass er die Briefe ganz vergessen hatte und kurz vor Feierabend nahm der den Brieföffner und machte die Briefe auf. In jedem Brief war ein kleines Begleitschreiben und jeweils ein Passbild von einem älteren Mann. Er las das Begleitschreiben. "Sehr geehrter Herr Bibliothekar! Vor Jahren baten wir Sie ein Dokument und ein Schriftstück für mich aufzubewahren. Ich George F., einer von den dreien, schicke Ihnen heute das Ergebnis meiner Suche. Bitte fügen Sie es zum Dokument hinzu. Ich danke Ihnen." Die anderen beiden Begleitschreiben klangen ähnlich.

Der junge Bibliothekar griff noch einmal in jeden Briefumschlag, denn die Fotos konnte er damit nicht gemeint haben. Er war noch vom alten Bibliothekar auf dem Sterbebett eingeweiht worden über das vor 15 Jahren aufgenommene Dokument. Auf dem Sterbebett hat der Bibliothekar mir dies als Beichte erzählt um sein schlechtes Gewissen vor seinem Tod los zu werden. Der Bibliothekar wusste, dass drei Menschen losgezogen waren, Gott zu suchen. Er schaute sich noch einmal die Portraits an. Er zuckte mit den Schultern, nahm die drei Begleitschreiben und die drei Portraits und heftete sie dem besagten Dokument an. Er verstand nun das schlechte Gewissen des alten Bibliothekars.

 

Cröüsä vor vier Wochen

Als sie runter kamen, rührte Paol gerade seine Kaffee. Er war jünger geworden und sah gut aus. Sie sagte: "Schön, dass Du wieder da bist. Würdest Du nachher nach dem kleinen Schaf schauen, es hinkt?" Paul sagte "ja" und lächelte.

 

 

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