2015: Der Mann mit den Wörtern

- Von der Stille -

Es war vor langer Zeit in einer großen Stadt, in der Zeit, wo groß heute als klein gelten würde. Die Stadt war von hohen Mauern umgeben, wie man sie heute noch manches Mal als historische Anekdote oder auch als Ruine sehen kann. Die alte europäische Ordnung war noch wirklich in Ordnung. Fürsten und Religionsfürsten, Zünfte und Bürgersräte bestimmten das Geschehen in dieser Stadt.

Es war also alles noch „in Ordnung".

Hinter dem Dominikanerkloster und vor dem Münsterplatz, in einer kleinen Seitengasse, gab es einen Bäckerladen: der Bäckerladen von Johannes Molitor.

Johannes Molitor war, wie es sich damals gehörte, Bäcker, mindestens in der 4. Generation. Jedoch die ganz Alten erzählten, dass diese Familie eigentlich schon immer Bäcker war. Seit Generationen hießen die jeweils ältesten Söhne Hans. Diese wurden dann alle Bäcker. Und so musste man die Aushängeschilder nicht ändern.

Die Menschen in dieser Stadt, die Alten, sowie die Jungen, die es schnell lernten, nannten diesen Bäcker den Brothans und die Gasse, die natürlich ganz anders nach einem Heiligen hieß, wurde von den Leuten einfach die Brothansgasse genannt. Dies war einfach praktischer.

Der Brothans, der uns interessiert, war bereits seit mehreren Jahren Bäcker. Seine Eltern wurden so langsam alt und hatten sich schon eine Weile aus dem Laden zurück gezogen. Brothans war ein tüchtiger Bäcker, jedoch wären die Menschen ehrlich, dann war ihnen das Brot, das sie dort kauften, gar nicht so wichtig: Brothans konnte gut zuhören und vor allem reden. Er war ganz anders als seine Eltern, da diese sich eher still und freundlich auf ein minimales „Guten Morgen" und „Aufwiedersehen" reduziert hatten und dieses auch richtig so fanden.

Brothans redete mit den Menschen und vor allem: er redete über die Sorgen der Menschen. So wurde mit den Jahren der Bäckersladen richtig bekannt. Nein, nicht wegen dem Brot, sondern wegen den guten Wörtern von Brothans. Man sah mit den Jahren immer früher Frauen zum Brot einkaufen in die Brothansgasse gehen, da sie ihn möglichst alleine oder wenigstens mit nur einigen anderen Kunden teilen wollten, denn er redete so gut vom Leben. Er teilte und verstand die Sorgen dieser Menschen: die Krankheit in der Familie, das frühe Sterben von Verwandten, Armut, die sie plagte, die persönlichen Sorgen in der Ehe, alles, was Bürgersleute so beschäftigte.

Man munkelt sogar, und dies waren vor allem die bösen Zungen der Stadt, dass man Frauen sah, und gelegentlich auch Männer, die immer kleinere Portionen Brot pro Tag kauften, damit sie mehrmals in den Laden gehen konnten, so dass es Zuhause nicht auffiel und nicht zu viel Brot gekauft wurde.
In dieser Zeit entwickelte Brothans eine eigene Art:
Morgens bzw. in der Nacht in seiner Backstube dachte er über diese Geschichten, die er hörte, nach. Das heißt, eigentlich dachte er nicht, sondern, da niemand in der Backstube war, redete er. Er erzählte sich selbst oder wem auch immer, die ganzen Geschichten noch einmal und erzählte sie aus mehreren Perspektiven, erzählte mögliche Lösungen und auch mögliche hilfreiche Lösungen für diese Geschichten.

So verbrachte er die Zeit und irgendwie spürte er, dass es ihm sehr gut tat, dies so zu tun. Als dann die Leute am frühen Morgen bzw. den ganzen Tag zu ihm einkaufen gingen und er im Laden stand, erzählte er die Geschichten mit den besten Lösungen. Er sah häufig diese Leute weggehen mit funkelnden Augen und einem leichtem Lächeln auf den Lippen. Er war sehr stolz.

Er war sehr stolz… Und hier können aufmerksame Leser jetzt schon denken: „Ein Bäcker, der stolz ist auf sein Reden und nicht auf sein Brot, ob das gut ist? Ob diese Geschichte gut ausgeht?"

Unser Brothans hat sich darüber keine Gedanken gemacht, da er einfach glücklich und zufrieden war.

Im Gegensatz zu seinen Eltern hielt Hans kaum Kontakt zu seiner Verwandtschaft: Die Geschichte seiner Verwandtschaft erzählte er sich auch in seiner Backstube. Natürlich gab es manche Ähnlichkeiten mit den Geschichten seiner Kunden.

Brothans mochte diese Menschen, die als seine Familie galt, alle nicht, da, wie er fand, diese alle die Wörter unehrlich nutzten. Sie waren freundlich untereinander, waren aber immer neidisch. Sie haben alle die Verwandtschaft gepflegt, waren jedoch alle froh, wenn sie die Rücken der Verwandtschaft sahen, wenn sie am Abend gegangen waren. Seine Eltern waren ebenfalls so. Knapp war die Verwandtschaft weg, wurde über sie hergefallen. Kurz, knapp und heftig, wie sich das gehörte für eine Bäckersfamilie, aber es wurde über sie hergefallen. So hatte Hans von Anfang an gelernt, dass Wörter Lügen sein konnten und er hatte sich sehr häufig in seiner Backstube ausgemalt, was seine Verwandtschaft über ihn sagte, wenn er dann weg war. Er erfand in der Backstube für sich selbst mit seiner Verwandtschaft nie schöne Geschichten, und wie wir heute wissen, sie stimmten alle.

So war Hans in seiner Verwandtschaft ein sehr Stiller und die Verwandtschaft verstand überhaupt nicht, dass alle Nachbarn von diesem Brothans so redeten, als würde er die ganze Zeit reden. Er schloss diese aus seinem Talent aus.

Brothans redete und redete in seiner Backstube Tag für Tag, Jahr um Jahr und in der ganzen Stadt war er für seine echten Wörter bekannt. Man sah auch die Pfäffchen der Stadt, die immer sehr früh in der Nacht kamen, um sich für die Predigt am Sonntag Rat zu holen. Der Bürgermeister kam - dieser allerdings spät am Abend, wenn schon niemand mehr im Laden war und es auch kein Brot mehr gab - und fragte Brothans um Lösungen für seine nächste Ratsrede. Brothans konnte immer wieder diese wunderbar funkelnden Augen sehen wenn die Leute gingen. Manchmal sagte er ihnen, er müsste einige Nächte darüber backen. Das ist das Einzige, das die Leute komisch fanden, denn sie wussten ja nicht, dass Hans sich in der Backstube selbst diese Geschichten wieder und wieder erzählte und aus anderen Perspektiven erzählte, bis er eine Lösung hatte.

Er hatte auch schon lange eine Lösung für sich selbst gefunden.

Der Plan stand.

Seine Eltern hatten große Sorgen, denn die sahen, dass Hans trotz reger Kundschaft und reger Bekanntheit immer weniger Brot verkaufte. Die Leute kauften kleinere Mengen, blieben länger im Laden und Hans backte immer weniger Brot.

Seine Vater hatte ihn bereits streng ermahnt, dies zu ändern und seine Mutter hatte Brothans schon weinend erlebt und bittend, dass er das ändern soll. Brothans sagte dann immer nur: „Ja, Ja". Er hatte ja unehrliche Wörter in seiner Familie gelernt.

Das Geschäft von Brothans ging also immer schlechter. Eines Tages starb dann sein Vater und kurz darauf auch seine Mutter. Er brachte alle beide ordentlich zu Grabe, jedoch keiner in der ganzen Stadt sah ihn trauern. Normalerweise wurde so etwas in diesen Zeiten nicht toleriert. Doch Brothans, den sie alle brauchten, hatte hier Freiheiten.

Seine Eltern waren noch kein Jahr tot, da machte Hans den geplanten Schritt: Durch den Marktschreier ließ er in der ganzen Stadt verkünden, dass Brothans seinen Bäckerladen zu Ostern schließen wird, jedoch sofort und direkt anschließend einen Wörterladen eröffnet und er sich ab jetzt Wörterhans nannte. Die Menschen in der Stadt nahmen das zur Kenntnis und sie wunderten sich eigentlich nicht. Das wenige Brot, das sie bei Hans kauften, war sowieso unwichtig, da sie - und viele taten das schon seit längerem - das wirklich gebrauchte Brot woanders kauften, sowieso nur wegen den Wörtern von Hans zu ihm gingen. Den Geizigen unter ihnen tat es weh, da sie jetzt sicherlich bald für Wörter bezahlen mussten. Das sahen diese natürlich nicht ein. Diese wurden jedoch von ihren Ehepartnern streng ermahnt, dass sie sofort damit aufhören sollten. Die Wörter wurden gebraucht. Und die Ehepartner wiesen auf die Unfähigkeit der Geizigen, mit Wörtern umzugehen, hin, das diese zum Nachgeben zwang.

Brothans nahm das uralte Schild mit dem Brot und dem Wort Brothans ab, wickelte es in eine Öldecke ein und legte es auf den Speicher. Er hatte heimlich beim Schmied ein neues Schild machen lassen auf dem ein Kopf, der redete, abgebildet war und unten drunter mit dem Wort „Wörterhans" verziert war. Er hielt am Morgen des Ostermontags dieses Schild in der Hand, holte die Leiter und hing es andächtig auf, endlich mit dem Gefühl, dass er jetzt alles richtig mache. Und so legte Hans los, wobei er so weiter lebte wie bisher. In der Nacht redete er sich die Lösungen der Sorgen der Menschen herbei und erarbeitete sich neue Perspektiven für diese und am Tag verkaufte er dann diese Wörter und die Leute gaben ihm gerne ihr Geld dafür.

Er wurde sogar noch viel besser, als er war: Er musste dieses lästige Teig machen und Brot backen nicht mehr jede Nacht absolvieren, sondern er konnte sich ausschließlich auf die Wörter konzentrieren, die für diese Menschen alle wichtig waren.

So ging dem Brothans sein Leben - oh, Entschuldigung, auch der Autor muss sich noch daran gewöhnen - dem Wörterhans sein Leben erst richtig los.

Wörterhans wurde in der Stadt, und vor allem außerhalb der Stadt, noch bekannter. Jetzt kamen auch vermehrt die Händler zu ihm. Da die Händler viel reisten und auf ihren Handelsreisen über die guten Wörter von Wörterhans zählten, um sich bei ihren Kunden wichtig zu machen, fingen diese auch an, sich für Wörterhans zu interessieren und reisten in diese Stadt.

Neue Lösungen, neue Perspektiven, Geld zu verdienen, war für alle Händler wichtig, so dass plötzlich ein reger Reisebetrieb in dieser Stadt entstand. Heute würde man sagen: Wörterhans war wichtig für die Tourismusbranche der Stadt und alle waren sehr zufrieden. Auch die Händler reisten zufrieden mit neuen Ideen für ihre Geschäfte ab.

Und immer mehr kamen. So viele sogar, dass der Bürgermeister irgendwann Hans als Ehrenbürger der Stadt erhob, da auch der Rat durch die vielen Übernachtungen und Eintrittsgelder mehr Geld zur Verfügung hatte.

Jedoch damit war es nicht genug.

Es kamen plötzlich Menschen zu ihm und sagten: „Meister Wörterhans" - man nannte ihn jetzt Meister - „ich möchte bei Dir in die Lehre gehen." Es kamen auch Mönche, Pfarrer, Anfänger und viele zu ihm, die bei ihm in die Lehre wollten. Sogar zwei Bischöfe baten ihn um eine Lehre in Diskretion. Diese nahm unser Wörterhans natürlich nicht, und überhaupt hatte er sich lange überlegt, ob er das machen sollte.

Er fand jedoch eine gute Lösung.

Er nahm die Lehrlinge zu der Bedingung, dass sie einfach in der alten Backstube saßen, ohne ein Wort zu sagen und ihm zuhörten, damit er seine vielen Wörter in der Nacht sortieren konnte. Die waren einverstanden worüber er sich selbst wunderte, denn er hörte diese ja nie reden. Auch hier passierte es: Eines Tages durchbrach der Lehrling die stille Regel und er fing an über seine Sorgen und seine Geschichten zu erzählen und Wörterhans machte - Entschuldigung, Meister Wörterhans - machte das Gleiche wie immer: Er fing an über diese Geschichte laut zu reden und fand so eine gute Lösung.

Meister Wörterhans entwickelte nun diesen Ansatz weiter.

Er bat nun seine Lehrlinge, bei einfachen Geschichten, zu denen er bereits vor Jahren Lösungen erarbeitet hatte, diese mit den Menschen am Tag zu besprechen.

Diese murrten jedoch am Anfang, wenn Meister Wörterhans nicht selbst kam. Aber was sollten sie tun? Besser eine Lösung von Meister Wörterhans, die zwar von ihm nicht vorgetragen wurde, als keine Lösung. Aber richtig zufrieden waren sie nicht.

Und so gingen die Jahre der Erfolge hin und alle hatten sie sich an ihren Meister Wörterhans und an sein komisches Geschäft gewöhnt. Meister Wörterhans genoss hohes Ansehen weit über die Stadt. Der Rat freute sich bei jeder Zusammenkunft, wie viel die Stadt an Wörterhans verdiente und die fanden das gut so.

Nach langen Jahren war Meister Wörterhans in die Jahre gekommen. Er merkte, dass sich seit geraumer Zeit etwas änderte.

Jedoch, da nicht wirklich etwas Schlimmes geschah, machte er weiter.

Allerdings gab es da schon einen Unterschied: seine eigenen Geschichten erzählte er sich in der Nacht nicht mehr, da ja alle seine Lehrlinge um ihn herum saßen. Und das ging diese nichts an. Am Tag redete er mit seinen Kunden. Er hatte also keine Zeit, sich Geschichten über sich selbst zu erzählen und somit zu merken, dass gerade die Dinge sich änderten.

Manchmal, kurz vor dem Schlafengehen, rutschten ihm doch einige Sätze raus. Diese Sätze klangen so:
„Das habe ich doch nun schon tausend mal gesagt."
„Warum weiß der die Lösung nicht, sie ist doch so einfach?"
„Kann man eigentlich so dumm sein, um dafür noch Sorgen zu entwickeln?"
„Das habe ich doch schon seit Jahren gelöst."
„Die Lehrlinge werden auch immer dümmer."
„Früher waren diese sehr viel intelligenter."
„Die Leute erzählen mir nichts mehr Neues, alles alte Kamellen, die mich langweilen."

Er sagte diese Sätze, immer öfter vor dem Schlafengehen und vor dem Aufstehen. Er hatte ja nie viel Zeit, da er für andere Lösungen machen musste. In der Stadt erzählte man sich, dass die Kunden unzufriedener wurden mit Meister Wörterhans. Die Lehrlinge erzählten Blödsinn, banale Lösungen. Manche fingen an manche Lehrlinge total abzulehnen. Meister Wörterhans schmiss sie raus. Die bösen Zungen der Stadt freuten sich, weil sie einen neuen Gesprächsstoff hatten: „Meister Wörterhans macht seine Arbeit schlecht." Und tatsächlich war es auch so: Meister Wörterhans langweilten alle diese Sorgen, die er doch alle bereits seit Jahren gelöst hatte und er spulte einfach diese Wörter ab.

Er merkte plötzlich gar nicht, dass der dann doch so wurde wie seine Verwandtschaft: seine Wörter wurden unehrlich.

Die Zeit ging dahin und sein Geschäft ging schlechter. Er konnte jedoch gut davon leben.

Die Wichtigen, die zu ihm kamen, Bürgermeister, Pfarrer, Äbte, reiche Händler, wurden immer unzufriedener und ärgerten sich immer mehr über seine Preise, die Wörterhans in den letzten Jahren stolz in die Höhe getrieben hatte.

Meister Wörterhans redete in seinen Wörterverkaufsstunden immer mehr, immer lauter, immer schneller. Er trieb seine Lehrlinge an. Diese fühlten sich oft ungerecht behandelt. Er fertigte die Leute richtig in der ehemaligen Backstube ab, beleidigte sie, bewertete sie, weil er das richtig fand.

Die Geschichte nahm dann seinen Lauf und eines Tages war es dann so weit.

Der gesamte Rat stand in der Brothansgasse vor dem Wörterhansladen und der Bürgermeister ging mit einer kleinen Delegation in den Laden hinein. Meister Wörterhans saß, wie immer, in der ehemaligen Backstube und wunderte sich. Der Bürgermeister sprach: „Brothans".

Brothans erwiderte: „Mein Name ist Wörterhans, Bürgermeister, das weißt Du ganz genau". Der Bürgermeister wiederholte: „Brothans, hiermit werfen wir Dich raus aus der Stadt. Wir brauchen Dich nicht mehr. Wir brauchen in diesen Räumen wieder einen Bäcker, wie sich das für eine Stadt gehört und ein Bäcker in der Stadt fehlt. Deine Wörter sind hohl geworden. Verschwinde! Wenn Du bis heute Abend nicht draußen bist, lassen wir Dich, ehe die Tore schließen, vor diese werfen. Verschwinde!"

Wörterhans klappte die Kinnlade runter und zum ersten mal passierte ihm, was er gar nicht kannte, er war sprachlos. Wörterhans ohne Sprache existierte nicht.

Er empfand Todesangst, rang nach Wörtern und nach Luft und als er wieder etwas zu sich kam, war der Bürgermeister und die Delegation weg.

Allerdings standen zwei Wachen vor seinem Wörterladen. Jetzt packte es Wörterhans bei seinem Stolz. Er lief hoch in seine Wohnung, nahm das Allerwichtigste und ging aus seinem Laden und fing an lauthals über die Ungerechtigkeit der Bürger dieser Stadt, über die Unfähigkeit mit seinen Lösungen umzugehen, zu reden. Er fing an, die Geschichten der Menschen, die bisher immer unter vier Augen besprochen wurden, laut hinaus zu posaunen und gegen diese Menschen zu pöbeln.

Er schrie und schrie.

Er ging alle wichtigen Straßen dieser Stadt ab, damit jeder mitbekam, dass Wörterhans mit erhobenem Haupt dieses Heuchelpack verließ. Hier gab es nur Unehrliche und Undankbare.

Wörterhans zeigte, dass er diese Stadt mit seinem verletzten Stolz verließ.

Mit hoch erhobenem Kopf verließ er die Stadt- er ließ es sich nicht nehmen, erst drei Minuten vor Toresschluss aus der Stadt zu gehen, nachdem er den ganzen Tag Zeder und Mordio geschrien hatte, ohne sich umzudrehen. Man hörte ihn noch lange außerhalb der Stadtmauern über die Undankbarkeit dieser Menschen schreien.

Wörterhans war in dieser Stadt nie mehr gesehen.

Er ging durch den Wald und redete und redete und redete. Er wiederholte alle Geschichten, wie gute Lösungen er gefunden hatte und er wanderte und redete tage- und nächtelang. Er wusste selbst nicht, wo er diese Energie her hatte. Nach Tagen, es mögen auch Wochen oder Monate gewesen sein, passierte ihm das, was noch nie passiert war: Er hatte gar keine Wörter mehr, alles war gesagt.

Er hatte alle Städte, die er von Weitem an den hohen Mauern erkannte und alle Dörfer vermieden.

Als ihm dann die Wörter fehlten war er gerade an einem Fluss, an dem Trauerweiden wuchsen.

Er brach zusammen und schleppte sich mühsam zu einer der Trauerweiden und lehnte sich gegen den Stamm.

Den Wanderstock noch in der Hand haltend, saß er still - lieber Leser, Brothans saß still - an der Trauerweide. Er weiß nicht mehr, wie lange er da saß. Er weiß nur noch Folgendes:

Irgendwann kam ein kleines Mädchen daher gehüpft, das ihn erst von Weitem, dann immer von Näherem anschaute, bis es vor ihm stand. Das kleine Mädchen guckte ihn mit großen Augen an. Wörterhans wurde völlig unsicher und was sollte er machen? Er schaute kurz auf das Mädchen und dann wieder zu Boden und dann wieder auf das Mädchen und dann wieder zu Boden. Er war völlig hilflos.

Das Mädchen machte ein schiefes Köpfchen und guckte ihn an. Vielleicht vergingen auch hier wieder Tage bis das Mädchen irgendwann zu ihm kam und sich an ihn kuschelte. Für Hans war das ein völlig unbekanntes Gefühl. Er spürte den Körper dieses kleinen Mädchens an sich kuscheln und es kamen ihm seit langer, langer Zeit die ersten Wörter wieder und er fragte sie: „Warum kommst Du zu mir?"

Das Mädchen sagte: „Wegen Deiner Stille."

Das Mädchen schaute ihn noch lange Zeit an und sah Wörterhans im Stillen weinen.

Niemand weiß heute mehr was aus beiden geworden ist.

 

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