2013: Der Abschied - Von der engen Beziehung zwischen Nähe und Distanz

Sie verließ - wie jeden Morgen - ihre Biberburg und wollte den Tag, wie immer, beginnen: Prüfen ob alles in der Burg dicht ist, dann nach vorne zum Damm schwimmen, um zu schauen ob es hier etwas zu reparieren gab und dann anfangen Geäst und Gehölz zum Essen zu sammeln.


An diesem Morgen entschied sie sich einfach nur an die Uferböschung zu schwimmen und sich dort eine Weile niederzulassen. Sequaj - so hieß sie, Biber haben eben komische Namen - schaute sich ihre kleine Welt an. Vor Jahren war sie mit ihrem Mann in dieses hoch gelegene Tal gekommen, wo sich keine Biber niedergelassen hatten.


Dies hatte seinen Grund: Das Tal war nur von einem kleinen Bach durchzogen, so dass sogar die erste Biberburg und der dazugehörige Damm schon sehr viel Arbeit war, damit das Wasser sich überhaupt auf einer gewissen Höhe staute.


„Ja,“ dachte sie „das ist eine Biberburg, jedoch eine sehr bescheidene und der Damm, - naja - man könnte es sicherlich besser machen.“


Sequaj war in dieses unwirtliche Tal gezogen, weil sie es anders machen wollte als alle anderen Biber.


In der großen Ebene dort, weit unten, hatten es die Biber einfach, dort war viel Wasser, ein Damm zu bauen war gar nicht nötig, und das Klima war viel besser.
Sequaj hatte diese Ebene verlassen, weil sie diese Bequemlichkeit und diese nicht wirklich biberechte Art zu leben (ein Biber ohne Damm ist ein Biber ohne Ehre) ablehnte.


Zusätzlich drohte immer Gefahr von den Menschen, die für ihre eigenen Bedürfnisse oft die Biber störten. Diese Biber nahmen das in kauf, Sequaj wollte dies jedoch nicht für sich und ihr Leben. Sie war stur und unbequem.


So saß sie an dieser Uferböschung, an diesem Morgen, schaute auf die kleine Biberburg und den kleinen Damm, der erst die Burg möglich machte.


„Das kann doch noch nicht das Ende sein!“ dachte sie, „ich möchte doch noch mehr erreichen.“


Sie spürte, wie Energie durch ihren Körper lief und vor lauter Begeisterung trommelte sie mit ihrem Schwanz eine kleine Melodie.


Sequaj nahm all ihren Mut zusammen und erkundetet das Land rechts und dann links von dem kleinen Bach. Biber können sich nur sehr unbeholfen auf dem Land bewegen. Sequaj fühlte sich auch hier nicht sicher, jedoch Sie wusste: Will sie noch mehr erreichen, so muss sie dieses Land erkunden. Sie lief zwei, drei Mal die ganze Strecke ab, schaute sich die Bäume an, dachte, rechnete, kalkulierte.


Bäume sind nämlich für Biber so etwas wie Ziegelsteine oder Beton für Menschen: Es ist Baumaterial, das passen muss und lange hält.


Nachdem sie wieder in den Bach gesprungen und zur Burg geschwommen war, sah sie ihren Mann auf der Burg, der mittlerweile auch wach war und sein Fell putzte.
Sie berichtete ganz aufgeregt von ihrem Plan:
„Ich habe entdeckt, dass wenn wir hier vorne einen Damm bauen, so groß wie noch nie ein Biberdamm gebaut wurde, werden wir einen wunderbaren Teich haben. Alle unsere Pflanzen, von denen wir uns ernähren, können hier wachsen. Es können viele Biberburgen gebaut werden, so dass wir eine kleine Stadt hier aufbauen können.“


Sie war so begeistert, dass während sie erzählte, ihr Biberschwanz die ganze Zeit auf die Burg trommelte. Ihr Mann sah sie verständnislos an. Er war nicht wirklich tüchtig und ihm reichte das alles hier.


So musste sie ihre Begeisterung alleine mit ihrem Biberschwanz teilen. 
Am Tag darauf nahm sie den beschwerlichen Weg in Richtung Ebene auf. 
In der Ebene angekommen verkündete sie überall von ihrem Plan Großes zu machen und sie hoffte darauf, dass sie einige Biber begeistern konnte.


Sie trommelte und trommelte den ganzen Tag und merkte hier wieder: Diesen Bibern in der Ebene ging es einfach zu gut, sie waren sehr bequem und viele von ihnen sahen überhaupt nicht ein, dass sie das, was sie hier eigentlich schon haben, dort oben im Tal mit viel Schuften erreichen konnten, was ja auch irgendwie verständlich ist.


Sie fanden Sequaj anstrengend und manche schüttelten den Kopf und schwammen einfach in ihre Burg um das Geplapper nicht zu hören.


Als sie dann - nachdem sie nochmals für ihr Projekt überall geworben hat - den langen anstrengenden Weg über den Bach hoch ins Tal wieder antrat, wusste sie warum es richtig war diese Ebene verlassen. Sie fand alle diese Biber irgendwie abweisend, ohne Ehrgeiz und auch ein bisschen faul. Sie war mit dem Plan beschäftigt, wie sie dann alleine ihr Projekt machen könnte.


Die nächsten Tage nagte Sequaj, in dem Bereich wo bald der große Damm entstehen sollte, die ersten großen Bäume ab. Sie suchte die Bäume danach aus, dass sie groß und stark waren (Biber können Bäume mit einem Durchmesser bis zu 50 cm durchnagen). Sie nagte diese so, dass sie den zukünftigen Damm andeuteten, nachdem sie gefällt waren. So entstand nach drei Tagen, durch die gefällten Bäume, eine große Linie die den zukünftigen Damm andeutete. 
Am vierten Tag, als sie morgens wieder aus der Burgröhre heraus schwamm und auf dem kleinen Damm saß merkte sie erst wie groß ihr Plan war. 
Zum ersten Mal zweifelte sie daran, dass sie dies alleine schaffen konnte.
Während sie noch nach Kraft suchte diese Zweifel zu unterdrücken, raschelte es plötzlich unterhalb des Damms.


Seitlich des Baches sah sie zwei Biber zu ihr hoch kommen. Sie legte ihr Gesicht in Falten, denn sie war skeptisch. Sie dachte: „Aha, Ebenen-Bewohner.“ 
Als die beiden Biber bei ihr auf ihrem kleinen Damm standen bemerkte sie, dass diese offensichtlich beide noch jung waren.


„Guten Tag,“ sagte einer der Biber schnell, „mein Name ist Alivys. Wir haben gehört, dass …, oh Entschuldigung, dies ist meine Frau.“ 
„Angenehm,“ brummte Sequaj, „ich höre...“ 
„Ich hörte unten in der Ebene von Ihrem Projekt und würde hier gerne mitmachen.“ Sequaj hielt den Kopf schief und sah ihn fragend an. „Mitmachen? Die da unten denken doch alle, dass ich spinne! Warum willst Du mitmachen?“ 
„Ich finde es spannend so etwas zu versuchen, ich weiß aber nicht mal, ob ich es kann.“ 
„So,“ dachte Sequaj „mitmachen und er weiß nicht mal, ob er das kann. Oh je, ob mir das hilft?“
„Wie viele große Bäume hast Du denn in Deinem Leben schon gefällt?“ fragte sie in einem eher kritischen Ton.


Alivys schaute sie traurig an und sagte: „Weißt Du, in meinem kurzen Leben kann ich noch nicht viele Bäume gefällt haben. Ich dachte Du könntest mir das beibringen und ich würde es gerne lernen, aber es gibt da noch ein paar Themen, die ich mit Dir besprechen möchte.“


Sequaj wunderte sich wie dieser junge Mann plötzlich einen anderen Tonfall hatte.
„Welche Sicherheiten bietest Du hier an, wenn ich dieses Risiko mit Dir eingehe? Kann ich mich mit meiner Frau hier niederlassen? Gibt es genug Nahrung hier? Kannst Du das garantieren?“


Sequaj wollte ausholen und diesen unverschämten jungen Biber beschimpfen. Unter Bibern ist es nämlich eine Ehrensache selber für seinen Unterhalt zu sorgen. Sie hörte sich jedoch sagen: „Ja, das kann ich, wenn Du mir hilfst. Ich kann Dir sonst außer sehr viel Arbeit nichts mehr versprechen.“ 
Alivys lächelte und sagte: „Genau das finde ich das Spannende dabei, hier kann man auch scheitern und ich möchte etwas Herausforderndes in meinem Biberleben tun.“


Nach harter Verhandlung wurden sie sich handelseinig, und mit einem für Biber typischen Vertragseinigkeit-Schwanzklopfen, besiegelten sie ihren Vertrag. 
Sie verabredeten sich für den anderen Morgen früh. Vor dem Einschlafen überlegte sich Sequaj, dass noch zwei große Bäume gefällt werden müssten, ein Tagewerk für jeden Biber.


Am anderen Morgen zeigt Sequaj Alivys den Baum.
Sequaj sagte: „Ich gehe davon aus, dass der Baum heute Abend gefällt ist.“ Alivys wurde rot im Gesicht (sofern das für einen Biber geht) und sagte: „Heute Abend? Das schaffe ich nie!“ Sequaj rollte die Augen und sagte: „Doch, doch,“ und ging zu ihrem Baum und legte mit dem Nagen los.


In der Mittagspause ging sie rüber zu Alivys und stellte fest, dass der Baum kaum angenagt war. „Was hast Du denn den ganzen Vormittag gemacht?“ fragte Sequaj. „Nur genagt.“ „Kannst Du mir mal zeigen wie das geht?“ sagte Sequaj und war jetzt sehr gespannt.


Und siehe da, Alivys hatte sehr kleine, offensichtlich sehr scharfe Zähne, aber schnell ging es nicht. Sequaj brachte Alivys noch ein paar Kniffe bei, wie es mit diesen kleinen Zähnen dann doch etwas schneller geht. Doch Alivys sagte: „Sequaj, das ist ein bisschen ein Problem, Du siehst doch, dass dann die Späne so ungeordnet hin und her fliegen. Ich mag es lieber wenn der Haufen geordnet ist.“ 
Sequaj atmete tief durch, ihr Biberherz war kurz vorm Platzen. „Oh je,“ dachte sie, „dass wird nie etwas.“ Und sie musste zusehen wie Alivys ganz feinsäuberlich jeden Span wieder auf den Haufen legte. „Vielleicht können wir sie ja noch brauchen.“ 
Sequaj platzte fast vor Wut, jedoch hielt sie sich zurück und dachte: „So wird das nie etwas mit meinem grandiosen Projekt.“


Jedoch merkte Sequaj mit der Zeit, dass der junge Biber trotz seinen komischen Gewohnheiten, alles immer wieder in kleinen Häufchen sauber zu ordnen, ob das Hobel, kleine Äste, Baumschalen oder auch ein paar andere Dinge waren, ganz schön ranklotzen konnte.


So verging die Zeit und sie hatten zu zweit stille Freude, den Damm peu à peu wachsen zu sehen.


Eines Morgens, als Sequaj wieder zum Damm schwamm, war Alivys noch nicht zu sehen. Üblicherweise war Alivys früher als sie auf dem Damm, deshalb wunderte sie sich schon etwas. Sie hob sich auf den Damm hinauf und wollte noch mal schauen wo er steckte.


Auf dem Damm merkte sie, dass jenseits des Dammes deutlich weniger Wasser den Bach runter lief. Sie wunderte sich.


Alivys tauchte plötzlich hoch und sagte: „Jetzt weiß ich wie es geht!“ 
„Was weißt Du, wie was geht?“
„Du weißt, dass ich da hinten im Wald jeden Tag meine Hobel-Häufchen sammele.“ 
Sequaj rollte schon wieder die Augen und sagte: „Ja, das weiß ich und das kostet uns besonders viel Zeit. Wie könnte ich so was vergessen, Alivys.“


Alivys lächelte jedoch und sagte: „Schau mal, siehst Du wie der Bach unterhalb des Dammes weniger fließt?“ 
Sequaj sagte knapp: „Ja, das hatte ich bemerkt.“ 
„Es sind die Späne!“ sagt Alivys. 
Sequaj meinte: „Was sind die Späne?“ 
„Es sind die Späne, die das machen.“ 
„Die was machen?“ 
„Ja die Späne, die dichten ab. Es ist genau das was wir brauchen, damit unser Teich schneller wächst.“


Sequaj schaute etwas verdutzt und war einerseits sehr beeindruckt und andererseits sauer. Sie wollte nämlich immer recht haben und eigentlich dachte sie auch immer, dass sie recht hat. 
Aber in diesem Fall hatte Alivys etwas Wunderbares entdeckt und nun konnten sie alle Späne-Häufchen brauchen, über die sie sich seit Wochen und Monaten ärgerte. 
Er war richtig gut.


Sequaj schluckte einmal tief und sagte: „Ok, ich nehme es zurück. Deine komische Häufchen-Sammlung ist uns jetzt nützlich.“ Alivys platzte fast vor Stolz und er fühlte sich nun endlich angenommen von der großen Sequaj mit ihrem großen Projekt.
So verbrachten sie die nächsten Tage und trugen einen Spänehaufen nach dem anderen ab und dichteten ihren Damm ab. So wuchs der Teich hinter dem Damm zu einer beachtlichen Wasserhöhe, die ohne Probleme mehrere Biberburgen beherbergen konnte.


Sequaj sagte: „Wenn diese blöden Biber von dieser blöden Ebene nicht so blöd wären, dann würden die schon wissen wie schön es hier ist und wie gut sie hier leben könnten.
Alivys, der mittlerweile an Selbstbewusstsein gewonnen hatte, sagte: „Aber Sequaj, Du musst das ein bisschen anders sehen. Wenn Du so über sie denkst, warum sollten sie hier mit Dir wohnen wollen?“ Sequaj brummelte etwas in ihren Biberbart, weil sie ganz genau wusste, dass er recht hatte.


Am anderen Tag liefen sie beide noch mal zusammen in die Ebene und trommelten mit ihren Schwänzen für ihren jetzt groß gewordenen Teich. Und noch vor dem Winter siedelten sich ein paar Biber in Sequajs Teich an.


Über den Winter, in dem normale Biber eine Winterruhe halten, trafen sich Sequaj und Alivys immer wieder in der neuerichteten Planburg.
Sie hatten sich eine spezielle Biberburg gebaut, die nicht wie üblich zum wohnen diente. Die war speziell dafür gebaut, um weitere Pläne zur Erhöhung des Damms und zur Verschönerung des Lebensumfeldes zu schmieden.
Wie bei jeder Burg war der Eingang unter Wasser und die künstliche Höhle, in der sie ihre Pläne schmiedeten über Wasser. Sie hatten schon über sehr vieles nachgedacht: Wie sie Nahrungspflanzen an dem Teich ansiedeln könnten, wie sie die Vorräte für den nächsten Winter besser sicherten, wie sie den Damm noch mal höher bauen konnten und so weiter, und so weiter.


Eines Tages, es war im tiefen Winter, sie waren beide wieder dabei ihre Pläne weiter zu schmieden, hatten beide gleichzeitig plötzlich eine geniale Idee: „Und wenn wir die Späne auch dafür benutzen die Unterwasser-Wohnbereiche abzudichten!“ schrien beide gleichzeitig und schauten sich gegenseitig mit funkelnden Biberaugen an. „Dann…“, sagte Sequaj, …“
„Ja dann…“ , sagte Alivys und sie sagten beide zusammen, „dann würden wir ja für Biber ganz neue Wohnbereiche unter Wasser bauen können, die besser geschützt sind.“ Sie waren beide sehr gerührt über diese Idee und hatten beide leicht feuchte Augen. Sequaj sagte: „Es ist so schön mit Dir, weil dieser Traum von diesem großen Damm mit vielen Biberburgen durch Dich erst wahr wurde. Ich muss mich bei Dir entschuldigen, dass ich am Anfang so gegen Dich und Deine Spänehäufchen war.“ 
Alivys meinte: „Nein Sequaj, es ist in Ordnung so, ohne Deine große Idee, ohne Deinen Mut alles anzufangen, wären meine kleinen Häufchen nicht viel wert gewesen.“ So saßen sie eine Weile still in ihrer Planburg und schauten sich in ihre Biberaugen. Es war eine lange Stille und es war einer dieser Momente in einem Biberleben, wie sie eigentlich nur ganz selten passieren. Die Stille dauerte eine ganze Nacht.


Der Winter ging vorbei und die beiden gingen mit den anderen Biberfamilien, die sich mittlerweile angesiedelt hatten, mit der neuen Dicht-Technik ans Werk. Der Damm wuchs noch mal an Höhe und Dichtigkeit. Die Biberburgen wurden ganz anders gebaut, da sie mittlerweile auch unter Wasser Wohnhöhlen bauen konnten. 
Dort waren die Biber besser vor all ihren natürlichen Feinden geschützt.


Sie arbeiteten und arbeiteten, schufteten und schufteten, optimierten und optimierten, und so stand am Ende ein wunderbarer Biberteich, der ein kleines Paradies für Biber darstellte. Genug tiefes Wasser, Nahrung, genug Damm und Burgen um sie zu unterhalten, alles was ein Biberherz begehrt. Alle waren sehr zufrieden.


Natürlich ging das nicht immer ohne Streit zwischen Sequaj und Alivys ab.
Sequaj hatte mittlerweile jedoch auch gelernt, dass auch andere recht haben können und jedes Mal wenn Alivys sie anbrüllte „es ist Dein Teich und Du machst mit ihm was Du willst“ und dann beleidigt wegschwamm, schwamm Sequaj nach einer kleinen Pause Alivys nach, um zu sagen: „Was hattest Du vorgeschlagen? Ich habe es nicht genau gehört, um es zu verstehen.“ Sie lächelte dabei leicht weil sie genau wusste, dass Alivys wusste, dass sie alles verstanden hatte, nur erst mal dagegen war. Und so rauften sich beide sehr gut zusammen und waren die Architekten dieser wunderschönen Biberwelt.


Und so lebten sie einige Sommer und Winter wunderbare Biberjahre, der Teich wurde immer größer und herrlicher, da mittlerweile die Hobel-Technik so optimiert war, dass der Damm ganz dicht war und sich das Wasser hinter dem Damm sammeln konnte.


Manche Biber gingen auch mal wieder weg, wenn Sequaj zu viel von ihnen verlangte. Alivys war mittlerweile zu einem stattlichen Biber hochgewachsen. Er hatte seine Art gefunden mit seinen Zähnen umzugehen, konnte inzwischen schnell die Bäume fällen und war immer noch der Weltmeister im Hobelhäufchen machen.
Auch Sequaj hatte gelernt, die deutlich dickeren Späne auch auf Häufchen aufzuhäufen, so dass eine Kombination von dicken und dünnen Spänen die optimale Dichtigkeit ergab.


Im Frühjahr, nach einem langen Winter, freute sich Sequaj schon auf die Reparaturarbeiten am Damm, wurde sie eines Morgens in ihrer Burg durch ein Zittern des Bodens wachgerüttelt. Sie schwamm durch die Röhre raus und hörte von unten herauf einen Lärm, den sie kannte.


Innerliche Panik stieg in ihr auf. Sie schwamm bis zur Dammmauer wo sie auf Alivys traf, der schon ins Tal hinunter schaute. Das brummende Geräusch wurde immer lauter und Alivys sagte: „Denkst Du auch, dass es das ist, was ich denke?“ 
Sequaj sagte „Ja,und das bedeutet für uns nichts Gutes.“ 
Sie schauten sich beide in die Augen, die dann sehr traurig wurden. „Sagen wir den anderen Bescheid?“ 
„Nee lass mal,“ sagte Sequaj, „es wird eh nicht zu vermeiden sein.“ Beide schwammen von der Dammmauer in Richtung Uferböschung und kauerten sich hinter einen Baum.


Und da war sie auch schon zu sehen, eine lärmende Maschine, die sie aus der Ebene kannten und die von Menschenhand gemacht war, um selbst nicht mehr arbeiten zu müssen. Sie sahen dieses Monstrum mit einem sehr großen Greifarm immer näher heranfahren  und der Lärm wurde fast unerträglich. Bis dann genau das passierte, was sie beide dachten. Der Greifarm griff mit einer immensen Kraft in die Dammmauer und riss den ganzen Damm nieder. Die Wassermengen fingen an das Tal hinunterzulaufen. Was nicht der Greifarm besorgte, besorgte die Kraft des Wassers: fünf Minuten später war der Damm das Tal hinunter gespült und die Biberburgen hingen wie Termiten-Nester in der freien Luft.


Viele Biber kamen aus ihren Burgen und waren völlig verwirrt.
Sequaj und Alivys saßen wie gelähmt am ehemaligen Ufer und schauten sich das böse Schauspiel an. 
Die wunderbaren Nahrungspflanzen hingen traurig herum, die wunderbaren Heimwelten der Biber hingen in der Luft, sichtbar für jeden, die ganze Schönheit war dahin. Ihre Welt war schlicht weg.
Die lärmende Maschine fuhr mittlerweile schon wieder Richtung Tal.


Sequaj liefen die Tränen runter, sie zitterte am ganzen Körper. Alivys legte ein Pfötchen um sie herum. Nach einer Weile Stille fragte er:“Was machen wir nun?“ 
Sequaj weinte: „Das weiß ich auch nicht!“ 
Alivys befahl: „Sequaj, Du musst es wissen, Du wusstest doch immer alles.“ 
„Ja,“ sagte Sequaj „ich wusste immer alles und alle beschwerten sich darüber. Lass uns erstmal nach unseren Familien schauen und dann schauen wir morgen wie es weiter geht.“ Sie verließ Alivys.


Am anderen Morgen trafen sich beide am Fuße der ehemaligen Dammmauer, da wo der Bach wieder lief wie vor Jahren. Diesmal hatte Alivys Tränen in den Augen und sagte dann: „Sequaj, ich möchte Dir etwas sagen.“ 
Sequaj schaute ihm in die Augen und sagte: „Alivys, dies ist nicht der richtige Moment, dies zu tun.“ 
Alivys erwiderte: „Sequaj es wird nie der richtige Moment sein und ich verstehe, dass es jetzt für Dich der schlechteste Moment ist. Ich aber habe nicht mehr die Kraft hier noch einmal anzufangen... Du weißt Sequaj“ 
„Ja,“ sagte Sequaj traurig, „ich weiß, von mir hast Du gelernt, dass jeder gescheite Biber in seinem Leben einen eigenen Bau mit eigener Dammmauer errichten sollte um ein Biber zu sein und ehe Du immer nur diese große Dammmauer mit mir teilst suchst Du Dir jetzt einen Ort, wo Du Deine eigene baust. Stimmt´s?“


Alivys fasste mit seinen beiden Pfötchen Sequajs Schwimmflossen fest an und schluchzte: „Alles was ich hier lernte, alles was ich hier geworden bin, ist mir so wichtig. Ich muss es wissen, ob ich es auch ohne Dich kann. Du weißt, dass Du es ohne mich kannst. Es waren Deine Ideen, es war Deine große Denke, es war Dein verrückter Mut der dies alles hat entstehen lassen. Du wirst es weiter machen. Du bist hier Zuhause Sequaj.“


Sequaj spürte, dass er recht hatte. Sie war hier Zuhause.


An diesem Abend kroch Sequaj innerlich zerstört in ihre Biberburg. Sie wusste sie hatte Alivys verloren. 
Sie träumte in der Nacht wild, lag oft wach und versuchte mit der Situation klarzukommen. Noch in der Nacht kam ihr eine gute Idee. Sie kroch aus der Biberburg und manches Tier im Umfeld der Bibersiedlung hörte stundenlang nagende Geräusche.


Am frühen Morgen - es dämmerte gerade - lief Sequaj mit einem großen Netz voller Hobel in Richtung der Biberburg von Alivys. 
Sie hatte die ganze Nacht die feinsten Spänne gehobelt, die je in dieser Bibersiedlung gehobelt wurden. Sie waren zweimal feiner als der Standard von Alivys und sie wollte diese Späne Alivys schenken, weil er heute für immer weg geht. Vor der Biberburg blieb sie noch einmal stehen und weinte. Sie fluchte und wollte nicht, dass er weg geht. Nach höflichem Anklopfen kroch sie mit ihren Spänen in die Biberburg, doch sie fand diese leer.


In einer Ecke lag ein Brief:
„Sequaj, du weißt Abschiede sind nicht mein Ding.
Ich habe nur eine Bitte: Wenn mein Plan nicht aufgeht, möchte ich Dich bitten, dass Du diesen Teich weiterhin erhältst, so dass ich zurück kommen kann. Du weißt, ich war immer ein Schisser und Du hast mir mehr Mut für Großes gemacht. Bitte, bitte lass mich zurück kommen.“
Sequaj saß eine Weile in der verlassenen Biberburg. 
Am späten Nachmittag im Tal hörte man die ersten 50-cm-Bäume fallen. 
Was jedoch niemand hörte war, dass am oberen Ende des ehemaligen Teiches, nach dem die ersten großen Bäume wieder gefallen waren, eine Biberfamilie sich umdrehte und wegging.


Alivys hatte gewartet um sicher zu sein, dass er zurück kommen kann.

- Für Alivys -

 

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