2003: Vom Anpassen II

Am Anfang jenes Winters wurde sie innerlich wütend.

„Alle sind schuld. Ich wollte doch nur nicht so sein wie andere Akazien und sie haben mich alle angeschmiert, diese Zimmerleute, die hier vorbeikamen,“ bettelte sie. Ich wollte denen nur wohlgefällig sein und als großer Balken in einem großen Kaufhaus, in einer Kathedrale oder meinetwegen auch in einem Bauernhaus - na ja - in einem großen Bauernhaus, enden. Ich wollte nichts Böses, ich wollte nur gefällig sein. Sie haben mich alle angeschmiert.“

Die Akazie, die unter ihren Schmerzen durch die vielen Umdrehungen litt, spürte Bitterkeit und kalte Wut. Plötzlich war sie auf alle normalen Akazien, die irgendwo im Wald stehen, neidisch. Die sind jetzt normal, dachte sie, und werden als Ufersicherung enden aber immerhin geachtet und ich, ich stehe hier und heiße Krüppelakazie. Da fiel ihr wieder der Wind ein, der sie damals per Zufall als Samenkern an dieses Wegekreuz geblasen hat. „Ich verfluche dich Wind. Du bist der Anfang meines schrecklichen Lebens“. Und die Akazie verschloss ihr Herz und verbrachte den Winter einsam und voller Bitterkeit.

Im Frühjahr, als schon die vielen verschiedenen Blätter an dieser Akazie wieder ausschossen, kam ein Mönch am Wegekreuz vorbei. Er bekreuzigte sich vor dem Wegekreuz und setzte sich unter die Akazie und vesperte. Die Akazie sah seinen roten Haarschopf, seine Kutte aus grober Wolle und sie wusste: Das ist ein irischer Mönch.

„Wieder so einer“, sagte sie, „der mich anschmieren will. Wahrscheinlich bringt er aus Irland irgendeine neue Mode mit. Aber diesmal, diesmal werde ich nicht darauf reinfallen und werde gar nichts mehr tun. Ich bin ja die Krüppelakazie und werde sie bleiben,“ giftete sie und sah voller Verachtung auf den Mönch hinab. Der Mönch schaute plötzlich zu ihr hoch und die Akazie erschrak. „Ach Gott, konnte er mich hören?“ Der Mönch schaute die Akazie zum ersten Mal genau an, sah ihre vielen verschiedenen Blätter und Holzarten, die die Akazie immer noch trug. Der Mönch sprach mit sanfter Stimme: „Ach Akazie – offensichtlich hatte er sie gehört – du bist also die berühmte Krüppelakazie!“ Die Akazie wurde hellhörig und sagte: „Ich? Berühmt?“ „Ja, sagte der Mönch.“ Auch bei mir zu Hause erzählt man von einer wundersamen Akazie am Wegekreuz. Ich bin froh Dir zu begegnen.“ Die Akazie kniff die Augen zusammen und sagte zum Mönch: „Hör auf mit Deinen Schmeicheleien. Du bist auch von denen, die mir eine neue Mode beibringen wollen. Ich will mich nicht mehr verändern. Ich bin genug reingefallen. Durch Eure Zunft bin ich eine überflüssige Krüppelakazie geworden und Ihr seid alle Schuld an meinem Unglück.“

Der Mönch schaute die Akazie sanft an und er streichelte ihren Stamm. Die Akazie erschrak, weil ihr diese Berührung zu nah war und zog sich zusammen. „Hab keine Angst Krüppelakazie,“ sagte der Mönch. „Ich spüre wie verbittert und einsam Du bist.“ „Ja,“ sagte die Akazie, jetzt schon schluchzend, „und Ihr seid alle schuld.“ Der Mönch antwortete sanft: „Krüppelakazie, Du selbst wolltest es doch so, Du selbst wolltest Dich doch immer wieder anpassen. Es hat Dich doch niemand gezwungen. So ist das Schicksal auf Erden von Anpassern.“ Die Akazie schrie vor Schmerzen und sagte: „Nein, nein. Ich bin nicht schuld. Ich wollte nur wohlgefällig sein. Ihr alle habt mich angeschmiert. Alle, die Zimmerleute, die hier vorbeikamen, alle, alle haben mir versprochen, dass ich was werde, wenn ich mich anpasse. Niemand hat sein Versprechen gehalten.“ Jetzt weinte der Mönch leise und er streichelte noch mal sanft über den Akazienstamm und sagte ihr: „ Akazie, Du hast dir selbst etwas versprochen. Es ging schief. Du bist die Krüppelakazie, akzeptiere es.“ Der Mönch schaute die Akazie traurig an und umarmte ihren Stamm kurz, um ihr nicht wehzutun, packte sein Vesper ein und ging.

Er drehte sich noch einmal um und winkte der Akazie traurig nach. Die Akazie hatte die Sätze vom Mönch gehört. Sie wurde sehr traurig und dachte: „Ich bin nicht nur die Krüppelakazie, jetzt muss ich auch noch die Krüppelakazie werden. Dabei wollte ich nur eine große Karriere machen. Mein Leben ist verpfuscht.“

Und somit bemühte sich die Akazie von diesem Frühjahr an, sie selbst, die Krüppelakazie zu werden. Es fiel ihr schwer, wie sie das machte, konnte keiner mehr berichten, da wieder mal durch viele Kriege und andere Wirren sich die Wege in Europa änderten und das Wegekreuz geriet in Vergessenheit.

 

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